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Berliner Platz (14): Gewohnheiten

Es ist Donnerstag, so gegen 19:30. Ich liege unschlüssig auf dem Sofa und erwäge den weiteren Verlauf des Abends. Die Nacht ist noch jung, es ist fast Wochenende und in Anbetracht der Tatsache, dass ich in einer pulsierenden Großstadt lebe, scheinen die Möglichkeiten schier unbegrenzt. Ich könnte mich aufmachen und unzählige neue Orte entdecken, die Stadt erkunden, von einer coolen Bar zum nächsten angesagten Club ziehen. Soweit jedenfalls die Theorie.

In der Praxis wird schon wenige Minuten später meine beste Freundin anrufen und mir mitteilen, dass sich alle so gegen 23:30 vor dem "Far Out" treffen, und mich fragen, ob wir nicht vorher noch etwas trinken gehen wollen – am besten in die "Mutter" oder noch besser in die "Universum Lounge", weil die so schön nah ist – so wie jeden Donnerstag.

Manchmal, wenn auch selten, schaffen wir es bis ins "Cookies", wenn es vor dem "Far Out" wirklich einmal zu kalt oder zu leer ist, was ja eigentlich nie vorkommt, oder wir wirklich genervt sind von den aufgebrezelten vierzehnjährigen Miniludern, die sich dort mehr und mehr tummeln. Dann lassen wir uns, nicht ohne lautstark unseren Unmut kundzutun, auf die Weltreise nach Mitte ein. Wer nun glaubt, dass dies nur für die Donnerstage zutrifft, oder dass wir einfach ein sehr trauriger Haufen sind, dem erlaube ich mir zu unterstellen, dass er irrt.

Der Berliner bleibt in seinem Kiez, und meine Freunde und ich sind da keine Ausnahme. Wir bewegen uns seit Jahren irgendwo zwischen Dahlem ("Luise"), Charlottenburg ("Far Out"), Tiergarten ("90 Grad" sowie alles rund um den Winterfeldtplatz) und allem, was dazwischen liegt. Da wissen wir, was uns erwartet, da kennt man uns, da trifft man immer jemand, ja, man könnte fast sagen, da sind wir unter uns. Das Bizarre daran ist, dass wir zum Beispiel das "90 Grad" eigentlich alle gar nicht mögen. Zu versnobt, zu voll, zu teuer. Aber in 15 Minuten für jeden erreichbar. Klar finden wir den "Sage Club" alle viel cooler, aber der ist ja in Kreuzberg, und das zählt für die meisten meiner Freunde schon zum Umland. Wir sind zwar alle motorisiert und könnten uns darüber hinaus auch problemlos mal ein Taxi leisten, aber das ist ja nicht der Punkt.

Wir haben eine Zeit lang die Kulturbrauerei ausprobiert, dann den Hackeschen Markt. Dazwischen haben wir uns bis zum "Freischwimmer" vorgewagt, waren in der "Strandbar Mitte", im "Roten Salon", im "T34", ja gar im "An einem Sonntag im August" und Gott allein weiß, wo sonst noch. Und fanden es jedesmal richtig nett, haben begeistert den Daheimgebliebenen davon berichtet und uns fest vorgenommen, viel öfter mal "woanders" hinzugehen. Wenn wir uns Mühe gegeben haben, waren wir auch vielleicht noch zwei- oder dreimal da, bis mal wieder jemand das "Anabelle's" vorgeschlagen hat, weil's so schön nah ist, und alle guten Vorsätze in Vergessenheit gerieten.

Dass wir uns in Berlin nicht auskennen, kann man uns nur bedingt vorwerfen, schon eher, dass wir unter chronischer Faulheit leiden und uns an unserer Eintönigkeit nicht stören. Seit ich im Ausland lebe, fällt mir das besonders auf. London und Paris kenne ich in- und auswendig. Wenn jemand wissen will, wo er hingehen soll und was besonders sehenswert ist, so kann ich problemlos eine Liste mit Spaßgarantie zusammenstellen. Das liegt allerdings nicht daran, dass ich, sobald ich meiner deutschen Heimat den Rücken kehre, zum IT-Girl mutiere und daher alles kenne, was cool und angesagt ist. Nein, es liegt einfach nur daran, dass ich in einer Stadt, in der ich fremd bin und auch nur für eine begrenzte Zeit lebe, eher den Drang verspüre, so viel wie möglich zu sehen und zu erleben als zu Hause – da ich immer fürchte, ich könnte etwas verpassen.

Zu meiner Schande allerdings muss ich gestehen, dass auch ich aus meinen Fehlern nicht lerne. Seit zwei Jahren studiere ich in Edinburgh, Schottland. Edinburgh ist wunderbar: jung, abwechslungsreich und hat ein, für eine Stadt dieser Größe beeindruckendes, kulturelles Angebot. Während ich im ersten Jahr mindestens zweimal in der Woche in einem neuen Club oder einer neuen Bar war, habe ich mittlerweile auch hier meine Lieblinge gefunden. Natürlich befinden die sich fast ausschließlich in der Nähe meiner Wohnung, und ich kann fast sicher sein, dass ich dort jemand treffe, den ich kenne. Ob ich irgendwo anders etwas verpasse, ist mir mittlerweile herzlich egal. Nichts Neues also – der Mensch ist und bleibt eben ein Gewohnheitstier.

Tanja Klein

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