Collateral

"Im Taxi befindest du dich in einem intimen Raum mit einer anderen Person, gegenüber der du völlig frei bist, denn es spielt keine Rolle, ob du sie magst oder sie dich, denn ihr wißt, ihr werdet euch nie wiedersehen", charakterisierte einmal Jim Jarmusch das Verhältnis zwischen Taxifahrer und seinem Passagier. Möglicherweise hatte Regie-Kollege Michael Mann bei der Konzeption seines neuen Thrillers "Collateral", in dem er Tom Cruise und Jamie Foxx als Killer und Taxifahrer zusammentreffen läßt, ein wenig Jarmuschs "Night On Earth" im Sinn, denn so wie der Biographien von sich völlig zufällig begegnenden Menschen sich überkreuzen und entscheidende Wendungen nehmen ließ, inszeniert auch Michael Mann eine für seine beiden taxifahrenden Hauptfiguren lange und alles verändernde Nacht.

Jamie Foxx
Foto: UIP
Ex-TV-Komiker Jamie Foxx, der sich schon mit seinem Auftritt in Michael Manns Muhammad-Ali-Biographie "Ali" fürs Charakterfach empfahl, brilliert in der Hauptrolle des einfach gestrickten, aber außergewöhnlich liebenswürdigen und zuvorkommenden Taxi-Fahrers Max: Eine durch und durch ehrliche Haut ist dieser Mittdreißiger, dessen Planung auf Verwirklichung großer Lebensziele irgend wann einmal ohne ihn zu fragen falsch abgebogen ist und der sich nun als Taxifahrer durchs Leben schlägt. Das große Leben ist an Max vorbeigegangen, und die attraktive Staatsanwältin Annie (Jada Pinkett Smith), die er eines Abends vom Flughafen zu einem Justizgebäude fährt, ist für ihn genauso unerreichbar wie die Karibikinsel, deren Bild er stets im Auto mit sich führt.

Doch so, wie jeder gemäß Andy Warhols Zitat einmal für 15 Minuten ein Star sein kann, nimmt das Schicksal in Gestalt von Tom Cruise in Max' Wagen Platz, welcher sich dem unbedarften Taxifahrer als Geschäftsmann vorstellt, der für 600 Dollar eine Nacht lang zu insgesamt fünf Terminen in L.A. kutschiert werden möchte. Auf dramatische Weise entpuppt sich Vincent bereits bei dem ersten nächtlichen Stopp als Profikiller, der seinen vermeintlichen Geschäftskontakt kaltblütig über den Haufen schießt und Max dazu zwingt, mitsamt Leiche im Kofferraum und Killer auf dem Rücksitz die Fahrt fortzusetzen - eine Fahrt, die für beide alles andere als plangemäß verlaufen soll.

Tom Cruise
Foto: UIP
Tom Cruise, einstiger Top-Gun-Flieger, Cocktail-Shaker und Sunnyboy, scheint schon seit geraumer Zeit sein Gefallen an unkonventioneller Rollenauswahl gefunden zu haben. Das von "Pirates of the Caribbean"-Autor Stuart Beattie verfaßte Skript erlaubt ihm, seine ganz besonders abgründigen Facetten hervorzukehren: Als Killer mit eisgrauem Haar und Stoppelbart zeigt sich der Weltstar zum zweiten Mal nach Neil Jordans "Interview with a Vampire" in einer finsteren Rolle und nicht nur äußerlich von seiner bislang ungewohntesten Seite.

Trotz der Präsenz seines Co-Stars ist "Collateral" kein Tom-Cruise-Vehikel, sondern eindeutig ein Michael-Mann-Film geworden. Der einstige Miami-Vice-Regisseur bewies sich vor allem mit seinem furiosen Gangster-Drama "Heat" als Meister des monumental angelegten Thriller-Epos.

Drehbuchautor und Regisseur Michael Mann ist es gelungen, eine Charakter- und Beziehungsstudie so geschickt in den Thriller-Plot einzuarbeiten, daß er die Spannung über den Zeitraum von zwei Stunden auf hohem Niveau halten kann. Dies ist um so bewundernswerter, da er nicht nur das Wesen seiner beiden Hauptfiguren präzise untersucht, sondern sich Zeit für ein paar wunderbar stille und poetische Momente läßt. In der wohl intensivsten Szene des Films fachsimpeln Killer Vincent und ein Barbesitzer minutenlang über den Jazz-Trompeter Miles Davis, und für die passende Prise Humor sorgen die Begegnung mit Max' herrischer Mutter, die der Killer und seine Geisel im Krankenhaus besuchen, sowie Max' Telefonat mit seinem Chef, wobei ihn Vincent mit der Waffe zwingt, seinem seit Jahren aufgebauten Frust einmal freien Lauf zu lassen.

Das Taxi des Grauens
Foto: UIP
"Collateral" wartet mit einigen wenigen, aber hochdramatischen Action-Sequenzen auf, die ihren Höhepunkt in einer hypnotisch inszenierten Schießerei in einem Nachtclub finden. Nicht nur in diese Szene läßt Michael Mann deutliche Reminiszenzen an James Camerons "Terminator" einfließen, wenn er Tom Cruise stoisch, unrührbar und unzerstörbar durch den Kugelhagel schreiten läßt.

"Collateral", das ist meisterliches Darsteller-Kino, gleichermaßen mitreißendes Drama und kühl-perfektes Thriller-Entertainment von maßgeschneidertem Design, mit zwei herausragenden Hauptdarstellern, die sich trotz ihres unterschiedlichen Star-Appeals gegenseitig genügend Freiheit zur schauspielerischen Entfaltung lassen.

Johannes Pietsch