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Drei Schwestern

Olga, Mascha und Irina, die drei Schwestern, träumen von Moskau. Nach dem Tod ihres Vaters in ihrer Kindheit hatten sie die Metropole verlassen, nun leben sie in einer langweiligen Kleinstadt, einzige Unterhaltung sind ihre immer gleichen Gäste, der alte Doktor und die Offiziere der dort stationierten Garnision. In ihrem Haus lebt auch Andrej, viertes und jüngstes der Geschwister Prosorow, in den die Schwestern große Hoffnungen setzen: Vielleicht wird er Professor - dann geht es nach Moskau.

Für eine Doppelinszenierung der "Drei Schwestern" holt das Kasseler Staatstheater den ungarischen Meisterregisseur István Szabó, bekannt vor allem durch den Film "Mephisto" mit Klaus Maria Brandauer, in die Documenta-Stadt. Im zweimal identischen Bühnenbild setzt Szabó im Opernhaus Tschechows Drama von 1901 und die darauf basierende Oper von Péter Eötvös aus dem Jahr 1998 um. Den Anfang machte das Schauspiel mit der Premiere am 12. Oktober.

Recht konventionell wirkt auf den ersten Blick die Szabó-Inszenierung in einem Theater, das drei Jahre mit dem Leitungsteam Petras/Baumgarten hinter sich hat. Ein großer Teil der Premierengäste wird es mit Befriedigung registriert haben, war doch das Verlangen nach "klassischem" Theater, nach Guckkasten-Bequemlichkeit und Friede-Freude-Eierkuchen-Ästhetik in den letzten Jahren immer wieder unsanft enttäuscht worden. Als sich der Vorhang hebt, gemahnen zwar die den Bühnenraum rechts und links einrahmenden Wände mit abbröckelnder sozialistischer Wandbemahlung an Russlands Zukunft, jedoch ohne dass im Spiel ein Gegenwartsbezug hergestellt wird. So sind diese beiden Wände zwar hübsch anzusehen, können sich jedoch der Assoziation "wie-bestellt-und-nicht-abgeholt" nicht ganz entziehen, da sie auf keine Weise in die Handlung eingebunden werden und die übrige Ausstattung historisch und dabei übrigens handwerklich sehr überzeugend gemacht ist (Bühne: Zsolt Khell, Kostüme: Györgyi Szakács).

So leiden und träumen Tschechows Schwestern drei Stunden lang in zeitgemäßem Dekor, ohne modernistische Zutat und Regietheater-Eskapaden. Dass der Zuschauer trotzdem gern und größtenteils mit Spannung folgt, liegt natürlich nicht nur an der angenehmen Ästhetik und der Homogenität der Inszenierung, sondern auch an der präzisen Zeichnung der Tschechow'schen Figuren und ihrer fast durchweg differenzierten wie charimatischen Darstellung: "Drei Schwestern" ist kein Handlungsstück, auch wenn es eine Handlung gibt, die Geschichte lebt gerade von der Handlungsunfähigkeit der zentralen Charaktere, die nicht die Energie noch den Mut aufbringen, ihre Träume zu verwirklichen.

Von den Schwestern ist es Mascha, die noch am ehesten den Versuch macht, sich aus ihrer Lebenslethargie zu befreien, indem sie ihren Gefühlen für Werschinin (gut aufgelegt: Andreas Haase) nachgibt und hinter dem Rücken ihres Mannes (Odo Jergitsch als etwas hölzerner Kulygin) eine Affäre mit dem Oberst beginnt. Anja Panse spielt glaubhaft und berührend Maschas Wandlung von der illusionslosen, abweisenden Zynikerin zur liebenswerten, liebensfähigen Frau. Olga (sensibel und verletzlich: Sabine Waibel), die älteste der Schwestern, leidet unter einem unbefriedigenden Lehrerjob, und lässt sich doch gegen ihren erklärten Willen zur Direktorin machen. In der Rolle der Irina zeigt Sandra Bayrhammer überzeugend die Desillusionierung der zunächst kindlich-begeisterten, mit der Zeit immer verhärmteren, sich schließlich dem Schicksals ergebenden jungen Frau, die von ehrlicher Arbeit schwärmt und bald nach der Anstellung im Telegrafenamt die Realität ganz anders kennenlernen muss.

Mit der Heirat des Bruders Andrej (Michael Grimm) und seiner zunehmenden Ehrgeizlosigkeit zerschlagen sich auch die Aussichten der Schwestern auf den Umzug nach Moskau. Obendrein kommt Natascha, die Ehefrau, ins Haus (von Danielle Schneider bei aller Penetranz der Figur nicht gänzlich unsympathisch gespielt) die sich zur Hausherrin aufschwingt. Als Werschinin mit seinem Batallion abkommandiert wird und Irinas Verlobter Tusenbach (Marko Dyrlich), den sie zwar nicht liebt, der aber mit ihr die Stadt verlassen wollte, von ihrem Verehrer Soljony (Urs Fabian Winiger) im Duell erschossen wird, sterben auch die letzten Hoffnungen auf die Erfüllung der Utopie. Dementsprechend düstern der Schauplatz der 4. Aktes: Statt der zuvor das Prosorow'sche Haus andeutenden großbürgerlichen Säulen stehen nun, den Garten darstellend, verdorrte Baumstämme ohne Äste auf der Bühne. Das bisher vorherrschende Rot ist durch ein kaltes Blau ersetzt worden. Hier kommt dann doch ein Zeitbezug auf die Bühne, wenn auch wiederum nicht ins Spiel: Rund um den nur noch aus Naturresten bestehenden Garten nähert sich die Betonwüste: Plattenbauten im Hintergrund, eine Autobahnbrücke darüber. Ein äußerliches Symbol der Trostlosigkeit, mit dem István Szabó außerdem darauf hinweist, dass es die drei Schwestern auch heute geben könnte und damit eine hundert Jahre alte Geschichte in die Gegenwart versetzt, ohne sie zu modernisieren. Die Premiere der Oper "Drei Schwestern" von Péter Eötvös am Staatstheater Kassel folgt am 2. November.

Nora Mansmann

Link:
Staatstheater Kassel

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