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Dreigroschenoper

Manchmal, wenn auch nur selten, verschlägt es Rezensenten die Sprache und es fällt ihnen schwer, ihrer Aufgabe nachzukommen und das Gesehene zu fassen zu kriegen, um es zu beurteilen. Das kann daran liegen, dass sie die Inszenierung absolut nicht verstanden haben – das merkt man dann an der vagen, mit nichtssagenden Fremdwörtern gespickten Beschreibung – oder daran, dass sie sich beim besten Willen nicht entscheiden können, was sie nun positiv oder negativ beurteilen sollen – das merkt man an der Unentschiedenheit des Textes, der keine definitiven Urteile fällen will. Schwierigkeiten der Bewertung eines Theaterabends können aber auch noch andere Gründe haben – wie im Falle der Vorstellung der »Dreigroschenoper« im Maxim-Gorki-Theater am 15. Februar.

Foto: Maxim-Gorki-Theater
Schon vor Beginn der Vorstellung raunt es durch's Foyer, es habe Umbesetzungen gegeben (»Hoffentlich nicht Jörg Schüttauf!«) Am Einlass ist man sich nicht ganz Im Klaren, aber eine Ansage der Regisseurin klärt die Sache: Maria Simon, die Polly, sei erkrankt, deswegen werde Anna Kubin, Darstellerin der Lucy, die Rolle der Polly übernehmen, dafür gebe nun sie selbst, Johanna Schall, die Lucy. »Und dann gibt's noch'n paar Stellen, wo alles ganz anders ist, das erklär' ich dann aber, wenn wir so weit sind.« Regisseurin ab. Na, das kann ja was werden! Um es gleich vorwegzunehmen: Es geht drunter und drüber auf der Bühne, aber in einem durchaus positiven Sinne.

Die Beteiligten sind sehr wohl in der Lage, spielerisch mit der Situation umzugehen. Anna Kubin, von einer Nebenrolle zur Hauptrolle befördert, erfüllt ihre neue Verpflichtung mit großer Souveränität, auch gesanglich bewältigt sie die doch recht anspruchsvollen Parts der Polly sehr gut, manchmal sogar glanzvoll. Man fragt sich unfreiwillig, ob die ursprüngliche Besetzung das genauso gut oder besser oder gar schlechter macht, und was passieren wird, wenn Maria Simon wiederkommt. Die Sympathien des Publikums und die Anerkennung der Kollegen hat sich Anna Kubin an diesem Abend jedenfalls erworben. Als sie zum Applaus auf die Bühne tritt, kommt der Beifall nicht nur aus dem Zuschauerraum.

Auch Johanna Schall, bewaffnet mit dem Textbuch, schmeißt die ungewohnte Rolle und scheint sich auf der Bühne wie zu Hause zu fühlen, was natürlich kein Wunder ist, arbeitete sie doch früher selbst als Schauspielerin, bevor sie sich ganz der Regie zuwandte. Ja, die halb- improvisierten Szenen gehören sogar zu den besten des Abend, sie verbreiten eine lustige Probenatmosphäre und die eingeflochtenen Witze sind echt, nicht einstudiert, sie entstehen aus den unumgänglichen kleinen Fehlern in diesem Experiment, etwa wenn Anna Kubin Johanna Schall in einer gemeinsamen Szene aus Versehen als Polly anspricht, und Schall ganz lässig antwortet: »Nein, heute bist du Polly, ich bin doch Lucy!«

Wenn es auch ein bisschen schwerfällt, Johanna Schalls Inszenierung der Dreigroschenoper wie sie geplant war und wie sie demnächst wohl wieder gespielt werden wird, anhand dieser Vorstellung zu rezensieren, so können doch einige allgemeine Dinge festgehalten werden. Der Abend ist ein bisschen lang, es hätte noch etwas mehr am Text gestrichen werden können – und dafür vielleicht weniger am musikalischen Teil.

Neben Anna Kubin, dem Star des Abends, die nicht nur die Polly spielt und singt, sondern auch noch die Gesangsparts ihrer ursprünglichen Rolle übernimmt, sind auch die männlichen Hauptrollen gut besetzt: Pierre Besson als kraftvoller Macheath mit diabolischem Grinsen und guter Stimme und Jörg Schüttauf als Peachum, der gesanglich wie schauspielerisch ebenfalls begeistert. Jacqueline Macaulay als Celia Peachum überzeugt weitgehend, wenn ihr auch bei den hohen Tönen gelegentlich größere Intonationsfreiheiten unterlaufen, bei denen nicht sicher ist, ob sie versehentlich oder zur Illustration des akuten Alkoholismus der Frau Peachum geschehen. Norman Schenk spielt in hübscher Aufmachung, mit eindrucksvollem Schmiss, den Polizeichef Brown, muss aber dabei zu viel herumhampeln und sich ständig in verkrümmt-verkrampfter Körperhaltung bewegen. Außerdem übertreibt er, ohne das Pathos zu ironisieren, bei weitem Browns Schmerz, als der einsieht, dass sein alter Freund Mac sterben muss, sodass man diese Darbietung, die sich über mehreren Szenen zieht, weder ernst nehmen noch lustig finden kann.

Die Bühne von Horst Vogelsang und die Kostüme von Jenny Schall gemahnen an die Entstehungszeit der »Dreigroschenoper«. Alles ist in Stummfilm-braun-weiß-beige-Tönen gehalten, die Möbel und auch die Fenster und Türen auf den Kulissen sind allesamt expressionistisch-schief gebaut bzw. gemalt. Die Darsteller sind stark geschminkt, die Kostüme weitgehend historisch.

Musikalisch bietet die dreigroschenband unter der Leitung von Ari Benjamin Meyers weitgehend Bewährtes, und das ist ja auch richtig so, den Kurt Weills Musik hat nichts von ihrem Charm verloren und ist, gut gespielt, auch nach fast 80 Jahren noch fetzig. Abgesehen von gelegentlich recht langsamen Tempi gibt es zwei größere musikalische Abweichungen: Die tieferen Frauenstimmen wurden teilweise nach oben transponiert, was vermutlich mit den gedachten oder tatsächlichen Stimmumfängen der Darstellerinnen zu tun hat, wenngleich man sich vorstellen könnte, dass etwa Jacqueline Macaulay besser mit einer Alt-Frau Peachum zurechtgekommen wäre, wie sie in der »Ballade von der sexuellen Hörigkeit«, wo sie ihre Bruststimme bemühen muss, sogar sehr eindrucksvoll demonstriert.

Zur Feier der Hinrichtung Macheaths kommen alle in quietschbunten Kostümen auf die Bühne, die – hübsches Detail – in Schnitt und Ausstattung genaue Kopien der vorher getragenen gedeckteren Kostüme sind. Mac wird befreit und verschwindet kurz – Besson muss sich ebenfalls umziehen. Er kommt zurück in einem knallroten Mantel, und singt, zwischen Freddie Mercury- und Daniel Küblböck-Attitüde, allein den Chorpart »Verfolgt das Unrecht nicht zu sehr«, sehr be-swingt und modern. Das ist der Kommentar zum Heute, der im Programmheft mit einem Artikel zu »Stars« schon angedeutet wird, der aber auf der Bühne, nach all der ästhetischen »Werktreue«, etwas verloren dasteht. Von einer kritischen Bezugnahme auf die heutige Gesellschaft darüberhinaus ist nichts zu spüren, und so wird die »Dreigroschenoper« hier wieder einmal als nette Abendunterhaltung, mit einem Schuss zu viel Klamauk, dargeboten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Nora Mansmann

Link:
Maxim Gorki Theater Berlin

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