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Forever Young

Nach ausführlichen russischen Studien hat sich Frank Castorf für den Saison-Auftakt mit "Süßer Vogel Jugend" wieder einen Amerikaner, wieder Tennessee Williams vorgenommen. Unter dem Titel "Forever Young" läuft die Inszenierung, eine Koproduktion mit den Wiener Festwochen und zunächst dort aufgeführt, seit dem 24. Oktober an der Berliner Volksbühne.

Altinszenierung: Paul Newman und Shirley Knight in einer Aufführung von 1962.
Foto: imdb.com
Das Stück um den alternden Schönling Chance, der in seine Heimatstadt zurückkehrt, um seine Jugendliebe Heavenly wiederzusehen, und an eine abgetakelte Hollywooddiva gerät, von der er sich und die sich von ihm Hilfe erhofft, ist an sich ein weniger herausragendes Werk der dramatischen Kunst. Die Handlung, bei Williams im rassistischen us-amerikanischen Süden angesiedelt, verlegt Castorf auf eine Tropeninsel – wenigstens der Ausstattung nach, die wieder von Bert Neumann kommt.

Auf der Bühne wuchert ein Urwald mächtiger Grünpflanzen, zwischen denen, neben der unvermeidlichen Video-Leinwand, ein Bambushaus auf Stelzen seinen Platz findet. Im Schlafzimmer mit seinem großen Bett und in der Bar bewegen sich die Schauspieler direkt unter den Augen des Publikums, daneben gibt es einen weiteren Raum ohne direkte Einsicht, dessen Innenleben durch das Auge der Kamera betrachtet wird. Im Hintergrund der Bühne steht ein hoher Bambuszaun – was dahinter geschieht verfolgt der Zuschauer ebenfalls auf der Videoleinwand.

Durch diese hübsche Versuchsanordnung wirbeln die neun Akteure des Abends, springen unzählige Male ins Wasserbecken unter der Leinwand, um danach die Kleider zu wechseln und wieder nass zu werden, toben durch's Bett, fallen die Treppe zum Haus rauf und runter, turnen durch den Urwald und durch bzw. über die darin verlegten Rohre. Dabei kommt es immer wieder zu Wahnsinns- und Schreiausbrüchen, das Ganze wird untermalt von Sir Henrys Musik (der Volksbühnen-Hausmusiker hat seinen Platz hinter dem Bambuszaun am Klavier) und unterstützt und übersetzt von einer ganzen Horde Kameramänner.

Man kann sich am Können der Schauspieler erfreuen oder staunen über die Professionalität, mit der Jan Speckenbach und Kollegen das Geschehen mit Kameras und Mikros begleiten, oder bewundern, wie gekonnt Castorf seine Mittel einsetzt – von der Geschichte, überhaupt von der Vorlage bleibt allerdings wenig übrig. Zwar werden zwischendurch immer wieder große Mengen Text in konzentrierter Form ans Publikum gebracht, doch entsteht dabei vor allem der Eindruck eines etwas unwilligen Abarbeitens, bevor man sich wieder der Ausschweifung widmen kann.

Frank Castorfs Inszenierung dauert drei Stunden ohne Pause, der Hausherr der Volksbühne bewegt sich noch in Dostojewski-Dimensionen, die diese Vorlage aber absolut nicht hergibt, und so finden sich in "Forever Young" nicht nur wie üblich viele zusätzliche Szenen/Improvisationen/Texte, sondern der Abend besteht fast nur daraus. So gerne man sich die Ausbrüche seiner Lieblingsschauspieler ansehen mag, so gern das ganze Publikum auch nach drei Stunden noch bereit zu sein scheint, selbst über schlimme Kalauer zu lachen, so unbefriedigt bleibt doch der Wunsch nach einem roten Faden, der Spiel, Text, Vorlage und vor allem Aussage verbindet. Die drei Stunden werden lang und länger, die gefühlte Zeit: dreimal "Idiot" hintereinander.

Neben vielen wirklich lustigen Dialogen und den Glanzpunkten des Wahnsinns wartet man auf große Bilder nahezu vergebens. Da gibt es einen Monolog der Diva über ihre Flucht aus der Welt des Glamours und der Paparazzi, den Kathi Angerer in einem claustrophobisch beleuchteten Rohr hysterisch in die Kamera spricht ("Da ist ja schon wieder ein Kameramann!") Da ist Laura Tonke als Heavenly, die sich wie gefesselt ein Sex-Manga anschaut und später darin ihre Mutter zu erkennen glaubt.

Überhaupt: Laura Tonke (die hier vor allem eines austrahlt: Verletzlichkeit) taucht zwar selten auf, bildet aber mit der Melancholie und Ernsthaftigkeit ihrer Figur einen extremen Kontrast zu allen anderen Charakteren und konzentriert das Geschehen bei jedem Auftritt mit unglaublicher Präsenz nur durch ihre Anwesenheit sofort auf sich. Mehr als sonst zeigt Castorf, zeigen seine Schauspieler in "Forever Young" Privatheit – oder vorgebliche Privatheit, denn gespielt ist auch das – wenn sie sich immer wieder mit ihren realen Namen anreden. Wenn Fabian Hinrichs in seiner Rolle als Verlobter Heavenlys über seinen Nebenbuhler plötzlich als "das alte kleine verfickte Arschloch von Wuttke" schimpft und Laura-Heavenly dagegen hält, sie werde immer nur einen lieben, "eineneineneinen, und das ist Wuttke!", dann ist das erstmal vor allem lustig, wenn auch nur für routinierte Volksbühnengänger immer gänzlich mitzuvollziehen.

Wenn aber Kathi Angerer dem Kollegen Peschel erklärt: "Weißt du, Milan, die Kunst der Maske – da weiß man gar nicht mehr, was man noch glauben soll!", führt das direkt zum eigentlichen Thema des Abends, zur Frage nach Schein und Wirklichkeit. Diese Problematik taucht auch in Williams' Vorlage auf, wenn der Leser Zeuge wird, wie zwei Menschen, die ihre besten Tage hinter sich haben, sich gegenseitig, aber hauptsächlich selbst betrügen. In diesen Kontext passt auch die altersmäßig genau gegensätzliche Besetzung der Diva mit der jungen Kathi Angerer und Chance Waynes mit Martin Wuttke, dazu passt, dass fast alle Schauspieler Perücken tragen, dazu passt natürlich auch die Lenkung des Zuschauerblicks durch Kameras.

Hierbei gelingt Castorf mit der Erhängungsszene Heavenlys im geschlossenen Raum des Hauses eine weitere technisch-inszenatorische Meisterleistung, nach der man – wider besseres Wissen – die ganze Zeit nur hofft, die Schauspielerin möge endlich wieder auftauchen, um wirklich sichergehen zu können, dass sie die Prozedur unbeschadet überstanden hat. Kurz vor Ende des Stückes zeigt Castorf dem (vielleicht gelangweilten, mindestens angestrengten) Publikum charmant und verschmitzt noch eine lange Nase, und damit kippt das Ganze plötzlich, damit haben die vorrausgegangenen Längen und unnötigen Albernheiten Methode und sind verziehen, man kann gar nicht anders. Die sich häufenden Privatheiten und Theater-und-Schauspieler-Selbstbespiegelungen lässt Castorf kulminieren in dem lapidar-zweifelnd gesprochenen Satz: "Vielleicht hat das Stück doch was zu sagen...". Hier wäre ein gutes Ende gewesen.

Nora Mansmann

Link:
Berliner Volksbühne

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