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Harry Potter und der Stein der Weisen

"Mr and Mrs Dursley, of Number four, Privet Drive were proud to say that they were perfectly normal, thank you very much." So beginnt der erste Band jenes bislang vier Bände umfassenden magischen Roman-Zyklus' über den jungen Zauberlehrling Harry Potter, der seit fünf Jahren die Leser in aller Welt in kollektive Verzückung versetzt.

Die jetzt gestartete Verfilmung war mit einer ungeheuren Hypothek belastet: Wie kann ein Film der geballten Erwartungshaltung von Millionen Lesern, die sich alle in ihrem Geiste ihr eigenes, magisches Hogwarts erschaffen haben, gerecht werden? Wie die Gratwanderung gehen zwischen der Integrität der literarischen Vorlage einerseits und der künstlerischen Freiheit des Filmemachens andererseits?

Wenn die Haare sich kräuseln, ist man Zauberer, ehrlich!
Chris Columbus, Regisseur konventioneller Komödien-Blockbuster wie "Kevin allein zu Haus" oder "Mrs. Doubtfire", beantwortete diese Frage mit einer unglaublich aufwendigen und bis ins kleinste Detail stimmigen Verfilmung, die dem Anspruch, mehr zu sein als nur der Film zur Merchandising-Welle, zwar gerecht wird, sich aber geradezu sklavisch der Marschrichtung des Buches unterwirft. Kein Wunder, hatte sich die Autorin Rowling doch vertraglich ein Mitspracherecht bei den gesamten Dreharbeiten einräumen lassen und damit unter anderem verhindert, dass ein Steven Spielberg sich der Kino-Adaption des Zauber-Stoffes annahm.

Wie alle modernen Blockbuster setzt "Harry Potter und der Stein der Weisen" auf den Reiz visueller Effekte: Columbus' Film ist ein Fest der Sinne, eine verschwenderische Prachtinszenierung voller berauschender Eindrücke und phantastischer Panoramen: Das imposante Schlossinternat Hogwarts, die märchenhafte, an Charles Dickens Weihnachtsgeschichte erinnernde Winkelgasse, der viktorianische Bahnsteig Neundreiviertel im Bahnhof King's Cross oder der durch ein pittoreskes Landschaftspanorama schnaufende Hogwarts-Express – das alles sind eindrucksvolle und aufwendig gestaltete Phantasie-Impressionen, die die Ideen des Buches angemessen umsetzen. Viele der Zauberfiguren, zum Beispiel die Kobolde der Gringotts-Bank, atmen den Geist und den Charme von Jim Henson, aber nicht etwa in Richtung der klamaukigen Muppets, sondern vielmehr der surrealistischen Figuren aus Hensons "The dark chrystal".

Und im Gegensatz zu vielen anderen Mammutproduktionen dieser Tage, etwa "Die Mumie kehrt zurück", werden Atmosphäre und Geschichte des Films nicht von der Übermacht der Effekte erdrückt, sondern transferieren den Geist der Vorlage adäquat auf die Leinwand. Das hat einen einfachen Grund: Joanne K. Rowling hat mit ihren bisher vier Harry-Potter-Romanen, einem Kaleidoskop der Fantasy-Populärliteratur von J.R.R. Tolkien bis David Eddings mit Reminiszenzen an Klassiker wie Lloyd Alexanders "Taran und der Zauberkessel" genauso wie Tad Williams "Drachenbeinthron"-Zyklus, keine traditionellen Kinderbücher im Stil eines Michael Ende geschrieben, sondern im Prinzip bereits erstklassige Drehbücher verfasst. Wo bei Ende Gedankenschwere, Tiefsinn und Weltverbesserungsanspruch herrschten, da ist bei Rowling turbulente Zauber-Action angesagt, voller Trolle, Kobolde, Hexen, fliegender Besen, Zentauren und abgrundtief böser magischer Gegner.

Was für ein braver und gelehriger Schüler er doch ist...
Auch die meisten Darsteller wirken wie frisch dem Buch entsprungen: Richard "Marc Aurel" Harris als merlinesker Professor Dumbledore, Maggie Smith als resolute Minerva McGonagall oder Robbie Coltrane als hünenhafter, klobiger und markerweichend herzensguter Zottelriese Hagrid mit dem Charme von Balou dem Bär und der Lizenz zum Beschützen passen wirklich haarscharf auf die gedanklichen Schablonen, die sich der Zuschauer beim Lesen des Buches zurecht gelegt hat. Hauptdarsteller Daniel Ratcliff macht seine Sache (trotz falscher Frisur!) recht ordentlich und zeigt für die bereits feststehenden Fortsetzungen Entwicklungsfähigkeit. Rupert Grint ist als stupsnasiger Ron Weasley ebenfalls sympathisch. Unbestrittener Star des Kinderensembles ist aber die quietschfidel aufspielende Emma Watson als Hermione Granger, wenngleich die kesse Jungdarstellerin für die pferdezähnige, strebsame Musterschülerin des Buches eigentlich viel zu hübsch ist. Aber Draco Malfoy als schmächtiges, kleines Blondchen? So beschreibt Joanna K. Rowling den Potter-Gegenspieler aus Slytherin, der im Gegensatz zum Buch hier nicht in Madam Malkins Laden, sondern erst in Hogwarts auf Harry trifft, nun wirklich nicht, eher als Gegenstück zum Familienekel Dudley. Alan Rickmann hat als zwielichtiger Zaubertrankexperte Severus Snape zu wenig gute Einsätze, der wunderbare John Hurt als Mr. Olivander nicht mehr als ein Cameo, und die winzigen Szenen für Ex-Monty-Python John Cleese als Nearly Headless Nick grenzen an Star-Verheizung.

Auch wenn sich der Film um größtmögliche Detailtreue gegenüber dem Buch bemüht, kamen Columbus und sein Drehbuchautor um Kappungen nicht herum, um den mit 152 Minuten an sich schon ungewöhnlich langen Film noch mehr zu strecken. Die Kürzungen verleihen dem Erzählfluss der Leinwandversion vor allem am Anfang einen recht rudimentären und abgehackt wirkenden Charakter: Harry und sein missgünstiger Onkel werden im Wohnzimmer von den Briefen der Eulen aus Hogwarts überflutet – Cut – und schon befinden wir uns auf der sturmumtosten Insel, auf der Harry Bekanntschaft mit Hagrid machen wird. Gespräch Hagrid – Harry, Schweineschwänzchen für Dudley – Cut – und schon geht's zum Einkaufen in die Winkelgasse. Ähnliches passiert in Hogwarts: Viele abrupte Szenen- und Ortswechsel verstärken noch den episodenhaften Charakter des ersten Harry-Potter-Buches, das ohnehin von Joanne K. Rowling mehr oder weniger nur als Exposition ihrer insgesamt siebenteiligen Romanreihe, zur Vorstellung der Figuren und Klärung der Fronten konzipiert war.

Für die eingefleischten Fans hat der Film also kaum Überraschungswerte zu bieten, sondern setzt allein auf die Wiedererkennung, also den Effekt, eine Geschichte, die man vom Lesen bereits auswendig kennt, endlich sehen zu dürfen. "Harry Potter und der Stein der Weisen" ist zwar nicht, wie von vielen befürchtet, der Film zum Computerspiel und zur Gießharzfigur geworden, aber er ist eben auch nur der Film zum Buch, das den geschriebenen Phantasien einer Joanne K. Rowling Bilder verleiht und sich in nur ganz wenigen Szenen zu tatsächlich den Fähigkeiten des Kinos entspringenden Sphären zu emanzipieren vermag. Beim rasanten Quidditch-Turnier mit peitschenschnell dahinrasenden Flugbesen glaubt man ein bisschen Chris Columbus' Sehnsucht nach den X-Flüglern aus "Star Wars" zu spüren, und beim wiederum etwas seltsam gekürzten Finale leistet sich der "Mrs. Doubtfire"- Regisseur ein paar nicht werkgetreue Anleihen beim zeitgenössischen Horrorfilm – vielleicht eine Reminiszenz an die lang zurückliegenden 80er Jahre, als ihm der Stoff der genialen Horrorkomödie "Gremlins" aus der Drehbuchfeder floß. Der Story selbst verleiht Chris Columbus hingegen nicht ein Quentchen eigenes Profil und belässt es bei der von Rowling vorgegebenen Genre-typischen Initiationsgeschichte eines postmodernen Individualisten, der aufgebrochen ist, eine jungfräuliche Welt voller Wunder, Gefahren und Abenteuer zu erobern. Deshalb passen Buch und Film perfekt zum neuen deutschen Fortschrittsoptimismus. Sie sind der ideale Unterhaltungsstoff für künftige Genforscher, Computerexperten und Roboterkonstrukteure. Die Zauberer des 21. Jahrhunderts haben ihre Kinderbibel gefunden.

Johannes Pietsch

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