brainstorms! dein onlinemagazin.
 bilder     magazin     b!fragt     interaktiv     mail 

 magazin »     unterhaltung  kino+kultur  musik  politik  sport  auto  berliner platz 
   

Ein politisches Erdbeben in Frankreich: Le Pen ante portas?

Frankreich ist schockiert: Beim ersten Wahlgang um die Präsidentschaft hat der Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen den amtierenden Ministerpräsidenten Lionel Jospin auf den dritten Platz verwiesen. Nun tritt der Nationalist in der Stichwahl am kommenden Sonntag gegen Amtsinhaber Jacques Chirac an.

Damit hatte keiner gerechnet. Mit diesem völlig überraschenden Ergebnis endete die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen und die Grande Nation ist in Erregung. Wie konnte es dazu kommen, daß ein alter Mann, dessen politische Karriere eigentlich schon beendet war, nocheinmal von ganz rechts außen Angriff auf den Elysee-Palast nimmt?

Der 74-jährige Jean-Marie Le Pen, langjähriger Anführer der rechtsextremen Gruppierung "Front National", ist offenbar Profiteur einer latenten Unzufriedenheit der Franzosen mit ihrem politischen Establishment. Als vollkommen ereignislos beschrieben Beobachter den Wahlkampf, der sich trotz einiger prominenter Mitbewerber wie den ehemaligen Innenminister Jean-Pierre Chevenement oder Kommunistenchef Robert Hue auf die beiden großen Kontrahenten, den neogaullistischen Präsidenten Chirac und den sozialistischen Ministerpräsidenten Jospin, zu konzentrieren schien. Beide versprachen ähnliches: Arbeitsplätze, Sicherheit, Wohlstand - "ein weiter so" in einem momentan recht prosperierenden Frankreich.

So zogen es viele Franzosen vor, am ersten Wahltag zu Hause zu bleiben und abends im Fernsehen die von allen erwarteten Ergebnisse zu vernehmen: Chirac und Jospin im ersten Durchgang vorn, die Entscheidung zwischen ihnen würde dann am Sonntag in zwei Wochen in einer Stichwahl fallen. Doch leider hatten sich viele verkalkuliert, denn dank der geringen Wahlbeteiligung profierte Le Pen, der mit antieuropäischen, antisemitischen und antiarabischen - gegen die zahllosen Einwanderer aus dem Maghreb gerichteten - Parolen, die offenbar den Nerv von Protestwählern trafen.

Möglicherweise haben Chirac und Jospin diese Unzufriedenheit in den Teilen der Bevölkerung unterschätzt, die beispielsweise unmittelbar aus den Problemen mit der nicht immer einfachen Integration der Nordafrikaner erwächst. Vielleicht erschienen Chirac und Jospin zu abgenutzt, sind doch beide jahrzehnte politisch aktiv und wohlbekannt. Ebenfalls denkbar ist, daß so mancher nicht bedacht hat, was er mit einer Stimme für Le Pen seiner Republik antut.

Jetzt jedenfalls sollte es der letzte unbedachte Wähler wissen: Seit dem ersten Wahlgang hat sich Frankreich verändert. Überall gibt es große Protestkundgebungen gegen Le Pen. Wohl oder übel bilden sich vormals undenkbare Koalitionen von Linken und Konservativen, um in der entscheidenden Stichwahl Chirac zu unterstützen. Denn die Bürger spüren, "unser Staat, unsere freiheitlich-demokratische Kultur ist in Gefahr", würde Le Pen Präsident. Plötzlich kämpft man wieder für die Werte seiner Republik, aber auch für eine Politik, die die Sorgen der Menschen ernstnimmt. Die Demokratie zeigt sich lebendig und wehrhaft. Spät, aber nicht zu spät.

Stefan Ewert

Links:
Mehr in der Netzeitung
Special bei Spiegel Online

frisch und neu
kino
musik
sport
politik
kultur
unterhaltung
bits+bytes
nach oben