Inszenierung am Schauspiel Frankfurt

Lucretia Borgia

30.03.2005

Lucretia Borgia, Tochter des Papstes und Herzogin zu Ferrara, geht für ihre Machtansprüche über Leichen. Ihr Ruf als Giftmischerin, die sich geschickt und geräuschlos unliebsamer Personen entledigt, eilt ihr voraus. Doch als sie beim Karneval von Venedig auf den jungen Gennaro trifft, bringt sie die Liebe in Konflikt mit ihrer öffentlichen Rolle.

Lucretia Borgia
Foto: Schauspiel Frankfurt
Am Schauspiel Frankfurt inszeniert Armin Petras die selten gespielte »Lucretia Borgia« von Victor Hugo in der Übersetzung von Georg Büchner. Auf der Bühne des großen Hauses steht ein angedeuteter Renaissance-Palast, der zunächst eher an eine Sporthalle oder ein Fitnesscenter erinnert (Bühne und Kostüme: Susanne Schuboth). Im Hintergrund übt ein kleines Mädchen an der Ballettstange, vorne messen sich Männer im Fechten, ein Toter wird hinausgetragen, einer bleibt niedergestreckt auf der Bühne liegen. Es ist Gennaro, Objekt der Begierde Lucretia Borgias, und – was zu diesem Zeitpunkt weder er noch der Zuschauer weiß – ihr Sohn.

Während in der Vorlage sehr schnell enthüllt wird, in welcher Verbindung die beiden Hauptfiguren des Stückes stehen, lässt Petras’ Inszenierung den Zuschauer lange im Dunkeln. Dadurch stellt sich nicht wie beim Lesen schon nach den ersten Szenen das Gefühl ein, man wisse bereits, worauf das Ganze hinausläuft. Und als Lucretia (Friederike Kammer) ihre wahren Beweggründe zum Ende hin doch noch verrät, eröffnet sich für den Abend eine ganz neue Dimension.

Durch diesen Kniff bleiben dem Theaterpublikum auch Gennaros unsägliche Schwärmereien über die unbekannte Mutter erspart – präziser: Gennaro (Laurenz Leky) spricht bei Armin Petras überhaupt nicht, er gibt lediglich unartikulierte Geräusche von sich. Unter seinen Freunden ist er der behinderte kleine Bruder, den man eben so mitnimmt, weniger aus Freundschaft, als vielmehr weil man muss – und weil man über ihn gut lachen kann. Und das tun Gennaros Kumpels (Robert Kuchenbuch, Gunnar Teuber, Stefko Hanushevsky, Sebastian Schindegger, Özgür Karadeniz) denn auch ausgiebig. Victor Hugos italienische Edelleute sind bei Petras keine noblen Recken, sondern tumbe Trunkenbolde, und selbst Gennaro, der mit seiner Stummheit und Fragilität zunächst Mitleid und Sympathie erweckt, stellt sich später – Lucretia gegenüber – als ziemliches Arschloch heraus.

Lucretia Borgia dagegen, die trotz ihrer Grausamkeiten schon bei Hugo eine Identifikationsfigur ist, wird hier zur Sympathieträgerin. Petras verschiebt die Gewichtung zugunsten einer weiblichen Perspektive, die leise die Frage aufwirft, ob das Bild der Lucretia Borgia, wie es über die Jahrhunderte entstand und zementiert wurde, der Wahrheit entspricht, oder ob ihr schlechtes Image nicht auch durch männliche Furcht vor einer überlegenen Frau und Neid auf deren Macht geprägt ist.

Armin Petras hat mit seiner Frankfurter »Lucretia Borgia« eine sehr konzentrierte, fast möchte man sagen reife Arbeit vorgelegt. Slapstick, Albernheiten und anarchisch-wildes Spiel gibt es auch hier, es bleibt jedoch im Hintergrund. Im Zentrum steht vielmehr solide Textarbeit, hier und da ein psychologischer Blick auf die Figuren und großes Schauspielertheater. Nicht nur die bei der Premiere stürmisch gefeierte Friederike Kammer begeistert, auch die anderen Darsteller des bis in die Nebenrollen hochkarätig besetzten Abends überzeugen mit hervorragendem Ensemble-Spiel (u.a. Wilhelm Eilers, Andreas Leupold, Andreas Haase und Abak Safaei-Rad). Einzig der seines Textes beraubte Laurenz Leky bleibt ein wenig blass.

Der Regisseur Armin Petras, zukünftiger Intendant des Berliner Maxim-Gorki- Theaters, zeigt sich in Frankfurt mit vielen typischen, bewährten Elementen, aber dennoch erfrischend anders: erfreulich in einer Theaterlandschaft, in der sich viele Regisseure – wenn auch auf hohem Niveau – nur noch selbst recyclen.

Nora Mansmann

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Schauspiel Frankfurt: Lucretia Borgia