Norah Jones: Come away with me
Sie wird 1979 als Tochter von Sitar-Guru Ravi Shankar in eine musikalische New
Yorker Familie hineingeboren, zieht mit ihrer Mutter im Kindesalter nach Texas,
erlernt in und um Dallas das Klavier- und Saxophonspiel, studiert Jazzklavier,
zieht mit 20 spontan nach New York zurück und schickt nach einigen Versuchen in
der Funk-Szene ein Demoband an das renommierte Jazz-Label Blue Note - das
Resultat ist 2001 ein hochdotierter Plattenvertrag und die Veröffentlichung
ihres Debutalbums "Come away with me", das sich zum internationalen Bestseller
entwickelt und alle Rekorde eines Debuts bricht.
Eine märchenhaft anmutende Geschichte, das Leben dieser Norah Jones. Nun, kurz
nach der endgültigen Heiligsprechung mit insgesamt acht Grammies und im Angesicht
der astronomischen Verkaufszahlen, die ihr weit über ein Dutzend
Platinauszeichnungen einbrachten - und spätestens nach der zweifelhaften Ehre
einer Einbeziehung des Hits "Don't know why" in den neuen Kuschelrock(!)-Sampler,
ist es an der Zeit, sich noch einmal abseits des ganzen Medienrummels um dieses
Album zu kümmern, welches so viele Kritiker zu Lobeshymnen hinriß und alles in
den Schatten stellte, was je aus dem Jazz-Bereich kam.
Da stellt sich zu Beginn gleich die Frage der genaueren stilistischen Einordnung.
Am ehesten könnte man den Stil, den Jones mit prominenten Mitmusikern wie
Jesse Harris und Erfolgsproduzent Arif Mardin schuf, als eine sehr ruhige
Mischung aus Country und Blues bezeichnen. Heraus kommt ein schwermütiger
Sound mit einfachsten Melodien und Harmoniemustern, die schnell ins Ohr gehen -
eine ideale Kombination, um auch über den lange Zeit fast vom Markt losgelösten
Bereich der Jazzmusik hinaus Erfolge zu erzielen. Das muß sich auch Blue
Note-Chef Bruce Lundvell gedacht haben, als er sich persönlich für die
Vertragsunterzeichnung mit Norah Jones einsetzte, um danach eine der größten
Werbekampagnen in der Geschichte seiner Firma in Gang zu setzen. Und der
Aufwand lohnt sich, wie sich oben nachlesen lässt.
Doch beim eingehenden Hören der CD drängt sich ein merkwürdiges Missverhältnis
zwischen medialem Aufwand und musikalischer Qualität auf. An sich ist das in der
Musikindustrie bekanntermaßen nichts Ungewöhnliches, doch gerade im Falle dieser
sympathischen jungen Jazzmusikerin wird immer wieder auf den qualitativen Aspekt
und das gleichzeitige Fehlen jeglichen überflüssigen Glamours in Norah Jones
Persönlichkeit hingewiesen. So kursieren die schönsten Gerüchte, sie solle ihren
Labelchef angesichts ihres immensen und ihr unheimlichen Erfolgs angeschrien
haben: "Hab ich nicht endlich genug CDs verkauft? Können wir nicht mal 'ne Pause
machen? Können wir nicht mal 'ne Zeit lang aufhören, CDs von mir zu verkaufen?"
Abseits solch geschickt lancierter Marketingstrategie muß man der Wahrheit, auch
in der Gefahr, von vielen Fans im Freundeskreis als unromantischer Klotz und
Kulturverächter diskriminert zu werden, ins Auge blicken: "Come away with me"
ist bei ehrlicher Betrachtung diesen Rummel nicht wert.
Es ist viel von der so ausdrucksstarken Stimme geschwärmt worden, mit der die
junge Texanerin ihre Hörer verzaubert, doch bei aller Schönheit kann sie sich
noch nicht mit den Größen der Szene messen lassen. Und auch die Songs sind auf
die Dauer zwar eine angenehme Hintergrundmusik vorzugsweise für romantische
Stunden zu zweit, aber wenn oben schon von einfachsten Melodien und
Harmoniemustern die Rede war, die schnell ins Ohr gehen, muss leider hinzugefügt
werden, dass sie bei vielen der Stücke auch schnell wieder aus dem Ohr kommen.
Bis auf das inzwischen leider überspielte "Don't know why", welches natürlich im
Ohr bleiben muss, wenn es, mal früher, mal später "entdeckt" durch die Radiosender
läuft, hinterlassen höchstens noch der sanfte Titelsong und die abschließende
wunderbare Jazzklavier-Ballade "The Nearness of you" tatsächlich bleibende
Eindrücke. Ansonsten ist "Come away with me" ein erschreckend ideenarmes Album,
welches ohne Überraschungen als, nennen wir es Jazz-Ambient vor sich hin plätschert.
Warum dieses Album so gut ankommt, könnte man in unerschöpflichen philosophischen
Diskussionen zum Zeitgeist zu klären versuchen, begnügen kann man sich mit der
Empfehlung, Norah Jones einige Jahre Zeit zu geben, in denen sie ihre zweifellos
großen Fähigkeiten hoffentlich besser zu nützen versteht.
Jens Lehmann
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