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Peter Gabriel: UP

Zehn Jahre ist es her, daß Peter Gabriel sein letztes Studioalbum veröffentlichte. "US" hieß das gute Stück und war nach dem schon sehr erfolgreichen Vorgänger "So" aus dem Jahr 1986 der endgültige Durchbruch des ehemaligen Frontmannes von Genesis, der sich 1975 mit der Band überwarf und dem Mainstream entfloh. Mit Hits wie "Steam" und "Digging in the Dirt" setzte er die Reihe fort, die er mit "Solisbury Hill" auf seinem ersten Album 1977 und vor allem "Sledgehammer", seinem bisher größten Erfolg auf "So" begonnen hatte.

Peter Gabriel
Nicht nur auf musikalischer Ebene gab Gabriel wichtige Impulse – seine Musikvideos setzten früh Standards vor allem auf dem Gebiet der Verbindung mit der Tricktechnik, und die Videos zu "Sledgehammer" und "Digging in the Dirt" gelten noch heute als zwei der besten, die jemals gedreht wurden. Und auch beim neuen Album ist es das Video zur ersten Single- Auskopplung "The Barry Williams Show", welches die Gemüter erregt: Der Song, der sich kritisch mit der (Un)Kultur der Daily Talkshows auseinandersetzt, wurde von Regisseur Sean Penn so rabiat in Szene gesetzt, daß die Ausstrahlung in Amerika erst ab 21 Uhr erlaubt wurde.

Diese Single gibt aber nur einen kleinen Vorgeschmack auf das nun erschienene Album, in dem soviel Arbeit steckt, wie in keinem anderen von Peter Gabriel. Die Abstände zwischen den einzelnen Studio-Produktionen (abzüglich einiger Arbeiten wie Bühnenmusiken und Filmscores) sind über die Jahre immer größer geworden. Waren die ersten vier, im übrigen unbetitelten Alben, noch im Zeitraum von fünf Jahren entstanden, brauchte es schon für "So" alleine die selbe Zeit, bis "US" vergingen wiederum sechs, und nun ist "Up" endlich da. Und das Warten hat sich gelohnt.

Das Cover von »Up«.
Hört man die CD das erste Mal, wird man durch eine leise, tropfend-rhythmische Einleitung in den Irrglauben versetzt, man würde einmal mehr einer der schön-schwülstigen Balladen aus Gabriels Feder wie "In the Blood of Eden" lauschen, doch plötzlich zerreißt ein hart-verzerrter Gitarrenschrei die Stille und schon stehen einem die Haare zu Berge. Nach kurzer Zeit wird das Soundgewitter für kurze Zeit zurückgenommen und in bedrückter Stille flüstert Gabriel "I'm scared of swimming in the sea, dark shapes moving under me". Der erste Song gibt die Linie vor: Das Album ist einmal mehr eine Mischung aus persönlicher Bestandsaufnahme der Gabrielschen Psyche und teils wirren Einzelbeobachtungen, alles mit einem unverkennbaren Hang ins Mystische ausgestattet. Mal also verarbeitet er seine teils schon neurotischen Ängste, mal Alltagssituationen wie die Umgebungsgeräusche und deren Vergänglichkeit in "My head sounds like that". Mal ist es die düstere Vision eines Vaters, der sich als Zeuge nach einem Autounfall durch die Schaulustigen hindurchkämpft, um festzustellen, daß da sein Kind im eigenen Blut liegt ("No way out"), mal ist es die Wahrnehmung eines Fallschirmspringers, die er in der abschließenden, kurzen Klavierballade "The Drop" schildert.

"The Drop" stellt dabei auch eines der wenigen Überbleibsel aus den älteren Zeiten von Peter Gabriels Schaffen dar. In zehn Jahren hatte Gabriel genügend Zeit, herumzuexperimentieren – herausgekommen sind opulente, größtenteils elektronische Klanggemälde mit einer Durchschnittslänge von 6 1/2 Minuten, die ständig eine Gratwanderung zur Sound-Überfrachtung darstellen. Aber irgendwie schafft es Gabriel bei jedem der Songs durch ständige stilistische Wendungen, von Orchestral Rock zu Ambiente-Klangteppichen, von extremen Elektronikorgien hin zu leisen Klaviereinwürfen, das ganze nicht aus dem Rahmen fallen zu lassen.

Musikalisch ist dieses Album wahrhaft ein Quantensprung, was sich schon in der zum Millennium erschienen Bühnenshow "OVO" andeutete, die allerdings noch wesentlich mehr an Weltmusikeinflüssen aufwies, auf die Gabriel immer so stolz war, und die er mit seinem eigenen Label RealWorld und dem WOMAD-Festival auch kräftig unterstützte. Das neue Album ist zumindest in dieser Hinsicht überproduziert – bis auf den rauhen Gesang des verstorbenen Nusrat Fateh Ali Khan in den Klaggewittern von "Signal to Noise", des wohl opulentesten und besten Songs, verschwinden die fremden, aber berückenden Klänge in diesem – nennen wir es Sound-Tsunami, der sich erst nach einigem Hören vollständig erschließt. ein schwieriges, aber großartiges Album und eine klare Kaufempfehlung!

Jens Lehmann

Links:
Peter Gabriels offizielle Website
Real World Records
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