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Gregor Schneider in der Hamburger Kunsthalle

In der Hamburger Kunsthalle ist seit dem 15.02. eine "verknappte Retrospektive" des Werkes von Gregor Schneider zu sehen. Die Ausstellung "Hannelore Reuen Gregor Schneider" läuft bis zum 11. Mai 2003.

Seit einiger Zeit gähnt dem Besucher, der das Café Liebermann in der Kunsthalle verlässt, um durch eine unterirdische Passage zur Galerie der Gegenwart zu gelangen, am Ende des Ganges eine schlecht instandgehaltene Garage an. Einfach so, eine Garage, wo vorher einige Fotografien Warhols standen. Auf Nachfrage sagt die Museumswächterin: "Das ist von Gregor Schneider. Der baut da jetzt sein Haus nach."

Wer hat denn keine Leiche im Wohnzimmer...?
Fotos: gregor-schneider.de
Gregor Schneider (1969 geboren) ist einer der Stars der aktuellen deutschen Kunstszene. Seit 1985 baut er in seiner Heimatstadt Rheydt an seinem Haus "U r". Amine Haase beschreibt im zur Austellung erschienenen Katalog Schneiders Tätigkeit folgendermaßen: "Er baut Räume in Räume, zieht Wände vor Wände, setzt Fenster vor Fenster, bringt Räume zum Drehen um die eigene Achse, Decken zum Heben und Senken." Eine Renovierung ohne Ziel, ohne Ende. Ein Nachbau, das "Tote Haus U r", war auf der Biennale 2001 in Venedig zu sehen. Und da hat er den Goldenen Löwen gewonnen, eine der bedeutendsten Kunstauszeichnungen unserer Zeit. Seither ist Gregor Schneider ein Star.

Was hat es auf sich mit diesem geheimnisvollen Haus "U r"? "U r" ist abgeleitet von der Adresse, Unterheydener Straße 12, und steht beispielsweise für "Umbauter Raum" oder "Unsichtbarer Raum". Es ist ein modernes Änderhaus, nur völlig anders, als es Michael Ende ersonnen hat: Natürlich verändern die Bewohner das Haus, nicht das Haus die Bewohner und sich selbst. Und in der Unterheydener Straße 12 ist es alles andere als gemütlich: schlecht vermauerte Kellerwände, ein "zubetoniertes Klo", Zimmer, völlig weiss gehalten, ohne die mindeste Einrichtung, die "Das große Wichsen" heißen oder "Das letzte Loch" – nichts zum Wohlfühlen, alles in allem.

Gregor Schneider lebt (anscheinend) nicht allein auf seiner permanenten Baustelle. Seine Mitbewohnerin, sein Alter Ego, die im Titel erwähnte Hannelore Reuen, arbeitet mit dem Künstler zusammen. Sie scheinen ein seltsames Verhältnis zueinander zu haben: "Er hat (auch) mich beobachtet. Ich konnte nicht damit umgehen – mit so jemandem in einem Haus zu leben. Er hat Tage nichts gesagt, dann kam er hoch und sagte: Ich mag Dich. Und dann war er wieder weg", sagt sie zu Amine Haase. Und Gregor Schneider nennt seine Untermieterin bisweilen liebevoll "Alte Hausschlampe". Recht viel mehr erfährt man nicht von Hannelore Reuen, dieser rätselhaften Person. Nicht nur die Bewohner des Hauses sind künstlerische Figuren Gregor Schneiders – das Haus selbst wird zur Metapher seines Daseins. Reuen im Interview: "Da kommt er nicht mehr raus." In der obsessiven Konservierung der Vergangenheit zeigt sich der Künstler auf der Suche nach dem Verständnis seines Schaffens. Schneider "wiederholt" alte Wände, früher geschaffene Statuen, "um zu verstehen, was er da gemacht hat" (Reuen). Er beschäftigt sich mit dem "Unbekannten". "Und je mehr ich mich damit beschäftige, desto unbekannter wird es für mich. Das ist für mich die Herausforderung, nämlich auszuhalten, immer weiter auf der Stelle zu treten."

Die heimelige Eingangshalle
Wie ist nun eine "verknappte Retrospektive" zu einem Künstler zu meistern, dessen Hauptwerk ein sich ständig wandelndes Haus ist? Die Hamburger Kunsthalle zeigt einzelne, vom Haus "U r" unabhängige Räume, oder Raumfragmente. Die genannte Garage, beipielsweise, vier wahrscheinlich seit den 60ern nicht mehr gereinigte Pissoirs (die einen Besucher an "die Schweinetröge aus meinem Heimatdorf" erinnern), eine Schlafstelle, eine Kammer hinter einem Spionspiegel. Ein Stück Straße ist in die Rotunde hineingebaut worden, nur von außen zu erreichen und 24 Stunden täglich zugänglich. Außerdem laufen parallel zwei Filme auf Großleinwand, das Haus "U r" und das "Tote Haus U r" dokumentierend. Sie sind sich völlig ähnlich. Hier wird ein bedeutender Gedanke bei Schneider deutlich: die Parallelität der Räume. Auch der Spionspiegel ist eine Anspielung auf seinen größeren Bruder, der sich in der Eingangspassage befindet. Trotz der augenscheinlichen, brutalen Schlichtheit der Werke Schneiders sind seine Räume voll von subtilen Anspielungen, betont der Direktor, Uwe M. Schneede, in seiner Einführungsrede. Er erzählt von einem Interview, in dem Schneider von einem Aussteller berichtet, der sich gar nicht sicher war, ob es sich bei einer Installation nun um ein Werk des Künstlers handle, oder ob der Raum schon immer so gewesen sei. Später erklärt die Museumswärterin, dass, um die Garage alt und gebraucht aussehen zu lassen, Schneider mit seinem Team zwei Tage hart gearbeitet hätte.

Etwas lässt erahnen in den Räumen Schneiders: Er hat seiner Seele Raum gegeben, oder, grob gesagt, ein Haus gebaut. In Hamburg sind nun einige Ausschnitte eines Hauses, die sich zwischen den Extremen "Pissoir" und "leerer Garage" bewegt. Das mag morbid erscheinen, ist es aber nicht ausschließlich. Was Schneider geschaffen hat, sind Tatsachen. Tatsachen sind nicht morbid, nur ihre Inszenierung ist es. Über Schneider kann der Kritiker nur deswegen so schwer schreiben, weil seine Installationen dem Betrachter viel Raum lassen. Das ist eine Herausforderung, und ob es gelingt, ist keine Frage der Kunst. Der Künstler hat etwas Unausweichliches gesetzt, und es liegt am Betrachter, damit umzugehen. Es lohnt sich, den Werken zu begegnen, auch wenn man nicht mit ihm konform geht.

Übrigens hat Schneider seinem Goldenen Löwen ein angenehmes Domizil verschafft: Eine mit Styropor verkleidete Plastikbox. Ohne Ausgang.

Frédéric Valin

Links:
Gregor Schneiders Website
Website der Hamburger Kunsthalle

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