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The Ring

In der sprachlichen Diskrepanz zweier Begriffe liegt im Kern auch das Unterscheidungsmerkmal für die Qualität eines Horrorfilms: Während ein schlechter Film dieser Gattung durch Schockdarstellungen, Tricksequenzen oder explizite Gewaltdarstellungen allenfalls Erschrecken auszulösen vermag, kann ein guter seinen Rezipienten mit einem Gefühl ständiger Beklommenheit und diffuser, ungerichteter, im psychologischen Sprachgebrauch frei-flottierender Angst gefangen nehmen. Gore Verbinskis Horrorfilm-Remake "The Ring" ist ein solcher.

Ja, das Fernsehen. Ein ewiges Rätsel der Menschheit...
Alle Fotos: UIP
Noch mehr jedoch gilt dieses Qualitätsmerkmal für das japanische Original "Ringu", Hideo Nakatas Verfilmung des gleichnamigen Romans von Kijo Suzuki, dem in Japan kommerziell eine ähnliche Stellung zukommt wie in Amerika Stephen King. Nakatas Film avancierte 1998 auf dem asiatischen Kinomarkt zu einem der erfolgreichsten Blockbuster aller Zeiten, sorgte 1999 auf den europäischen Fantasy-Film-Festivals für Furore und zog in Japan eine Fortsetzung und ein Prequel, in Korea inzwischen ein erstes und nun in Amerika ein zweites Remake nach sich. Und das geriet entgegen aller Erwartungen – schließlich ist die 1996 durch "Scream" ausgelöste Retro-Horror-Welle schon seit mehr als zwei Jahren mausetot – in Amerika zu einem der größten Überraschungserfolge der letzten Monate.

Kijo Suzukis Geschichte, die abgesehen vom Geschlecht der Hauptfigur und größtenteils unter Verzicht des gedanklichen Tiefgangs ohne große Änderungen von den filmischen Adaptionen übernommen wurde, ist erzählerisch und atmosphärisch in drei Teile unterteilt, die gänzlich unterschiedlichen Genres zuzurechnen sind. Film und Roman beginnen mit einem Motiv, welches vor allem während der Horror-Welle Mitte der 90er Jahre – zu diesem Zeitpunkt entstand der Roman – oft und gern bemüht wurde: Den makaberen zeitgenössischen Märchen und Mythen der Großstädte, jenen modernen Sagen und Geschichten, die unter Freunden, Bekannten und Kollegen so lange tradiert werden, bis sie sich im kollektiven Unterbewusstein festgesetzt haben. Denn was früher Feen und Gnome waren, sind mittlerweile Elvis und die Aliens. Alle Aufklärung und Zivilisation hat es nicht geschafft, solche Ängste zu bannen; statt in der Natur finden sie sich nun in unserem hoch technologisierten Alltag wieder. "Urban legends" lautet dafür der von der amerikanischen Sozialwissenschaft geprägte Begriff. Statt der finsteren Wälder und Höhlen, aus denen einst das Gespenstische kroch, lehren uns Abwasserkanäle, düstere Straßenschluchten, finstere Aufzugsschächte und sinistre Hochhäuser das Fürchten.
Auf der Suche nach des Rätsels Lösung.
Auch in "The Ring" lauert das Verderben in einem Gegenstand des alltäglichen Gebrauchs: Da soll es eine Video-Cassette mit tödlichen Folgen für den Betrachter ihres Inhalts geben, so der unheimliche Ausgangspunkt der Story, ein Videoband, das die Betrachter der auf ihm gespeicherten wirren, angsteinflößenden Bilder nach einer Galgenfrist von sieben Tagen sterben lässt. Schon im Auftakt zelebriert der Film - bedingt durch den Entstehungszeitraum des Romans während der "Scream"-Ära – das eherne, unverrückbare Reglement aller Slasher- und Gruselfilme: Zwei Teenager unterhalten sich über die urbane Legende des Videos, und noch während die beiden Mädchen über den vermeintlichen Teenie-Scherz kichern, schwant dem Slasher-geschulten Zuschauer durch das abgedunkelte Setdesign und Hans Zimmers düster-wabernden Score längst das bevorstehende Grauen. Nur eine Stunde später ist eines der Mädchen tot, das andere ein Fall die Klapsmühle und die Marschrichtung für das geisterhafte weitere Geschehen vorgezeichnet.

Nach dem tragischen Tod des jungen Mädchens versucht deren Tante (im Roman ist es der Onkel), dem schaurigen Geheimnis auf die Spur zu kommen. Naomi Watts, David Lynchs faszinierende Entdeckung aus "Mulholland Drive", spielt die Zeitungs-Journalistin Rachel, deren Nichte ebenso wie drei weitere Jugendliche durch den Konsum des Videos ein schreckliches Ende fand. Auf der Suche nach dem Killer-Tape wird Rachel schneller fündig, als ihr lieb ist, und kann – wer hätte es anders gedacht – der Neugierde nicht widerstehen, das Band selbst in den Player zu legen. Was sie nie hätte tun dürfen, denn natürlich beginnt auch für die Journalistin in diesem Moment der unaufhaltsame Cuntdown: Noch sieben Tage!

Schon das Video, von dem im japanischen Original weniger und das auch nur verschwommen zu sehen ist als im amerikanischen Remake, ist ein kleines, verstörendes Schreckensszenario für sich. Die bizarren, surrealistischen Bilder von Maden, abgetrennten Fingern, geisterhaften Figuren im Spiegel und einer Gestalt, die von einer Klippe stürzt, erinnern intensiv an die alptraumhaften Bildkompositionen eines Luis Bunuel oder Salvador Dali und damit vor allem an die Traumbilder aus Hitchcocks "Spellbound".

Der Auftakt lässt den Schrecken sich inmitten des urbanen Großstadtdschungels etablieren, wo technische Geräte wie Fernsehapperate oder Videorekorder unversehens zu Durchbruchspforten für die bösen Schatten jenseitiger Welten mutieren und damit wie Tobe Hoopers "Poltergeist" an so mancher kindlichen Urangst rühren, was für Gestalten sich wohl hinter der undurchdringlich flimmernden Mattscheibe existieren und aus ihr hervorbrechen mögen.. Dass die zukünftigen Opfer des letalen Videobandes vor ihrem Tod auf Fotographien verzerrt, entstellt und verschwommen dargestellt werden, ist eine deutliche Referenz auf "The Omen", Richard Donners Horrorklassiker von 1975 über die Geburt des Antichristen, an den noch an anderer Stelle erinnert wird.

Geh noch ein Stückchen näher, noch ein bisschen...
Mit Rachels Ermittlungen über die Herkunft des Videos springt die Handlung auf eine einsame Insel vor der Küste Neuenglands, und auf einmal findet sich der Zuschauer in einer gotischen Gespenstergeschichte wieder. Die Überfahrt mit der Fähre stilisiert den Übertritt aus der realen Welt in eine jenseitige Sphäre, in der die düsteren Schatten der Vergangenheit allgegenwärtig sind. Eine verglichen mit dem Rest des Films ungewöhnlich explizite, naturalistische Schocksequenz mit dem Amoklauf eines Pferdes bildet das Fanal für Rachels Reise ins Herz der Finsternis. Wabernde Nebenschwaden, einsam gelegene Gehöfte bilden das Ambiente für die verrätselte Spurensuche, die Rachel und ihren Ex-Mann Stück für Stück zum düsteren Kern des Geheimnisses führt und viele Elemente der klassischen Schauerliteratur eines Edgar Allen Poe, eines E.T.A. Hoffmann und speziell eines Howard Philipps Lovecraft bemüht.

Phasenweise gelingt "The Ring" dabei eine superbe Schaueratmosphäre. Das Verderben scheint überall zu lauern, die Angst entspringt keinen plötzlichen, plakativen Buh-Effekten, sondern subtilen, verstörenden Fingerzeigen und Indizien auf den bevorstehenden Terror. Plötzliches Nasenbluten, unerklärliche Handabdrücke oder eigentümliche optische Täuschungen künden von der Allgegenwart des Grauens. Je näher jedoch die Heldin und damit auch der Zuschauer dem Geheimnis des Videobandes rücken, je deutlicher sich die Konturen jener jahrzehnte zurückliegenden Ereignisse in dem kryptischen Puzzlespiel abzeichnen, desto weniger beklemmend wirkt das Verwirrspiel, denn so wie sich Schicht für Schicht das Rätsel um das mörderische Video und die darauf abgebildeten Personen und Ereignisse lüftet, desto deutlicher entpuppt sich das zunächst so undurchschaubare Schauerstück als sehr konventionelle und nebenbei überaus westlich geprägte Gespenstergeschichte. Dass jedoch auch die noch formidabel zu erschrecken weiß, beweist der dritte, wiederum in der Großstadt angesiedelte Teil des Films, der den Zuschauer mit einem schockierenden Schlussakkord in die Magengrube trifft und dabei Gedanken an E.F. Bensons "Turmstube" aufkommen lässt, ohne dabei das in den letzten Jahren so unendlich oft bemühte und dadurch entsprechend abgenutzte Prinzip des ach so überraschenden Plottwists am Schluss bemühen zu müssen.

Ein kleiner, aber feiner Geisterfilm ist das, mit einem überzeugenden Ensemble, einem düster-deprimierenden Score und beeindruckend stimmungsvollen Bildern. Regisseur Gore Verbinski hat die morbide Geschichte, auch wenn sie am Schluss etwas zu durchschaubar wirkt, einfallsreich und stilvoll inszeniert und Visionen und Vorahnungen zu einer fesselnden und ungemütlich beklemmenden Gruselmär montiert.

Nebelschwaden dürfen nicht fehlen.
Naomi Watts vermag als rustikales, amerikanisches Pendant der sphärischen Nanako Matsushima im Original mit einer glaubhaften Mischung aus Entschlossenheit und sich steigernder Panik zu überzeugen. Die Darstellung von David Dorfman als Rachels Sohn Aidan lehnt sich deutlich an Haley Joe Osments jungen Geisterseher aus "The 6th sense" an, was auf Grund der Konzeption beider Figuren kaum zu vermeiden ist: Auch Aidan sieht tote Menschen, und sie sagen ihm Dinge, die in der realen Welt über Leben und Tod entscheiden können: "Don't you understand, Rachel? She never sleeps..." Martin Henderson ("Windtalkers") als Rachels Ex-Mann Noah spielt nicht weiter beachtenswert, wohingegen Brian Cox, der einst in Michael Manns "Manhunter" als erster dem feingeistig kultivierten Anthropophagen Hannibal Lector diabolisches Gesicht verlieh, als von den Geistern der Vergangenheit gejagter Einsiedler ein brilliantes Kabinettstückchen liefert.

Man sagt immer, Japaner seien die schlechteren Erfinder, aber die viel besseren Vermarkter. Beim Faxgerät war dies so, das in Deutschland erfunden wurde und als japanisches Produkt seinen Siegeszug um die Welt antrat. Die in den Vereinigten Staaten entwickelte VCR hatte kommerziell auch erst durch die japanische Industrie Erfolg, und das inzwischen in sämtlichen Behörden und Industrien grassierende Unwesen des Qualitätsmanagements wurde ebenfalls in den USA von zwei Wirtschaftswissenschaftlern erfunden, bevor die Japaner daraus eine Religion für das produzierende Gewerbe in aller Welt machten. Jetzt, im Jahr Sieben nach "Scream", kehrt der japanisch recycelte Horror als amerikanische Wiederaufbereitung aus dem Land der aufgehenden Sonne zu uns zurück.

Johannes Pietsch

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