brainstorms! dein onlinemagazin.
 bilder     magazin     b!fragt     interaktiv     mail 

 magazin »     unterhaltung  kino+kultur  musik  politik  sport  auto  berliner platz 
   

Tori Amos: Scarlet's Walk

Das schon immer stark ausgeprägte Phänomen der weiblichen Singer/Songwriter in Nordamerika erhielt in letzter Zeit noch einmal einen kräftigen Impuls, als mit Künstlerinnen wie Alicia Keys oder Vanessa Carlton Angehörige der jüngeren Generation auf den Markt gespült wurden. Doch auch mit diesen sehr kalkuliert aufgebauten Stars im Nacken haben die Vorreiterinnen der Szene, namentlich Alanis Morissette und Tori Amos das Heft noch weitgehend in der Hand. Nachdem die erste vor kurzem mit ihrem neuen Album "Under Rug Swept" einen eher mäßigen Erfolg landete und viele schon von Stagnation sprachen, versucht nun Tori Amos mit ihrem neuen Album an bisherige Erfolge, die sich bisher in 12 Millionen verkauften Tonträgern und 8 Grammy-Nominierungen niederschlugen, anzuschließen.

Foto: eastwest
"Scarlet's Walk" ist ihr siebtes Studioalbum seit ihrem Debüt vor zehn Jahren mit "Little Earthquakes" und schließt sich im Abstand von nur einem Jahr an ihr letztes Projekt "Strange Little Girl" an, ein großartiges Album mit sehr eigenwilligen Cover-Versionen. Das neue Album entstand in Folge der Anschläge vom 11. September des letzten Jahres, als die Sängerin auch gerade in New York weilte. Sie selbst beschreibt ihre Erlebnisse und das Konzept hinter der neuen Veröffentlichung: "Es war ein Erwachen für viele von uns, und wir mussten eine Art Reise in Richtung Selbstfindung antreten. Meine aktuellen Songs entstanden quasi von selbst, denn ich war auf der verzweifelten Suche nach Antworten..." So sind denn auch die 18 Songs des randvollen Albums als eine musikalische Reise durch die USA konzipiert, jeder Song markiert einen Streckenabschnitt in diesem "vertonten Roman". Die Protagonistin Scarlet ist laut Amos' Aussage zur einen Hälfte eine Inkarnation ihrer selbst, zur anderen aber auch Stellvertreterin "für jeden von uns".

Scarlet trifft auf dieser imaginären Reise Menschen unterschiedlichster Schichten und Völker, so ist zum Beispiel ein nicht unwesentlicher Teil des Albums auch den amerikanischen Ureinwohnern gewidmet. Tori Amos' Großvater war Cherokee, und in Erinnerung seiner Geschichten entstanden Songs wie der "Wampum Prayer", eine kurze, unbegleitete Hymne auf die Toten eines Massakers an den Apachen oder "Your Cloud", welcher die Rassentrennung zum Thema hat. Auch der Tod spielt wieder einmal eine wichtige Rolle in den Texten, die diesmal für Amos' Verhältnisse erstaunlich verständlich geraten sind: nicht nur bei "I can't see New York", welches mit seiner Geschichte eines Zusammenstoßes zweier Flugzeuge klar auf die Anschläge auf das World Trade Center verweist, auch bei "Taxi Ride", bei dem die Protagonistin über die Reaktionen auf den Tod einer nahestehenden Person reflektiert oder "Carbon", der die Geschichte eines manisch-depressiven Lebensmüden erzählt.

Foto: eastwest
Die Musik zu diesen durchaus persönlich gehaltenen Texten, die teilweise jedoch zu sehr zur politisch korrekten Bedeutungsschwangerschaft neigen, ist eine eher düster gehaltene Mischung aus dem Balladenstil der frühen Schaffensphase von Tori Amos, die sie so untrennbar mit ihrem Bösendorfer-Flügel verbindet und einem vorsichtigen Einsatz anderer Tasteninstrumenten wie der Wurlitzer oder dem Rhodes und Gitarren. Die experimentellen Mittel, die ihre Alben "From the Choirgirl Hotel" und "Venus" so spannend und im positiven Sinne schwer verdaulich machten, sind gänzlich verschwunden. Ein Schritt, der sich schon auf dem letzten Album ankündigte, insofern als konsequent bezeichnet werden kann, der aber auch zu einer merkwürdigen Eintönigkeit führt. Die Songs ähneln sich doch untereinander sehr stark oder erinnern sehr direkt an Werke aus den frühen Alben, so daß von "Scarlet's Walk" keine entscheidenden Impulse ausgehen. Zudem kann einem auch die immer wieder gleiche Schlussfloskel, das musikalisch offene Ende, aus dem Tori Amos' verletzliche, teils brüchige Stimme herausragt, auf die Nerven fallen. Dieses Phänomen mag zwar mit dem Prinzip des durchkomponierten "Romans" begründet werden, man könnte es jedoch auch als eine über die Jahre gewachsene Marotte bezeichnen.

Die schönsten Momente hat das Album in dem auch als Single erfolgreichen "A sorta fairytale", dem sehr nachdenklichen "I can't see New York" und dem wunderschönen, mit Streicherarrangements fast ins kitschige abdriftenden "Gold dust", welches die Sängerin ihrer einjährigen Tochter widmet. Ansonsten nur eine eingeschränkte Kaufempfehlung, da man von der sonst so innovativen Tori Amos musikalisch ein wenig mehr erwarten durfte.

Jens Lehmann

Link:
Tori Amos neues Album bei Amazon.de bestellen

frisch und neu
kino
musik
sport
politik
kultur
unterhaltung
bits+bytes
nach oben