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Vater unser

Über seine erste Theaterarbeit an der Volksbühne stellt der österreichische Filmregisseur Ulrich Seidl die Frage »Wie kommuniziert man mit Gott?« Anhand von authentischen Äußerungen »echter Gläubiger« erarbeiteten die sieben beteiligten Darsteller die Texte, die sie nun in einem von Bert Neumann gebauten Flughafen-Andachtsraum von sich geben.

In diesem »spirituellen Dienstleistungszentrum« beichtet der Taxifahrer (Georg Friedrich) mit weinerlicher Stimme sexuelle Perversitäten, beschimpft der Schlaflose (Herbert Fritsch) Gott für den Verlust seines Arbeitsplatzes und dorthin zieht sich die toughe Tschitschi vom Check-In (Vivian Bartsch) zurück, um übers Handy Verabredungen fürs Wochenende klarzumachen. Die Putzfrau (Maria Hofstätter), naiv-fanatische Katholikin, erzählt im Plauderton von den Problemen mit ihrem muslimischen Mann und dessen Schlaganfall. Dann schließt sie den Raum ab um Jesus zu loben und zu preisen und singt christliche Liedchen zur Heimorgel. Die Prinzessin (Regine Zimmermann), die angereist ist, um ihren Vater zu begraben, bei dessen Tod sie nicht zugegen war, zieht sich zum Weinen in den stillen Raum zurück, der Pfarrer (Winfried Wagner) übt in der Pause gregorianische Gesänge. Der Chef (Bernhard Schütz) ist ein Ordnungsfanatiker, der immer wieder das Funktionieren der Türen kontrolliert und – nicht nur aus beruflichen Gründen – heimlich die Putzfrau beobachtet.

Es geht Ulrich Seidl nicht darum, eine Geschichte mit durchgehender Handlung zu erzählen, sondern um die Untersuchung des Raumes und der Situation »Kommunikation mit Gott«. Vieles in seiner Inszenierung erinnert sehr an die an der Volksbühne bewährten Methoden Christoph Marthalers. Die Figuren auf der Bühne sind keine Charaktere, nicht jeder Schauspieler spielt genau eine Rolle mit einer Identität. Vielmehr zeigen die Darsteller verschiedene Möglichkeiten, zu Gott zu sprechen, die revue-artig aneinandergereiht werden nach dem Grundmuster Auftritt – beten – ab. Marthalers Prinzip der Wiederholung findet sich auch hier.

Ganz selten gibt es ein direktes Zusammentreffen der Figuren, ein Zusammenspiel zwischen den Schauspielern; die aus der Konzeption zwangsläufig entstandene Verkettung von Monologen gibt dem Abend leider eine große Statik. Dennoch berühren die kleinen, oft schockierenden Geschichten dank der Intensität der Darbietung. Im Verlauf des Abends allerdings erschöpft sich der Effekt. Die Lebenskatastrophen der Figuren, die sie dem imaginären Gekreuzigten im Rücken des Publikums anvertrauen, sind alltäglich, man kennt sie – ob Christ oder Atheist – aus dem eigenen Leben, aus den Medien, aus der Kunst.

Bernhard Schütz setzt da den notwendigen Kontrapunkt. Der Chef ist die schillerndste, widersprüchlichste Figur des Abends. Bei ihm haben sich die verschiedenen Fragmente, aus denen die Rolle besteht, nicht wie bei den anderen harmonisch zusammengefügt; Schütz betont gerade die Brüche seiner Figur. Mit der Schilderung seiner Familie, in der jedem Mitglied irgendein abstruses Unglück widerfahren ist, übertreibt und ironisiert der bewährte Castorf-Schauspieler die an diesem Abend sonst vorherrschende Betroffenheits-Eingefühltheit und sorgt so auch dafür, dass es leichter wird, sich wieder auf die Geschichten der anderen einzulassen.

Am Ende gestattet Bernhard Schütz sich noch einen Ausbruch, eine Explosion des den ganzen Abend angestauten Schmerzes. Der sonst so beherrschte Chef springt gegen Wände, wirft sich auf den Boden, geißelt sich mit Putzlappen und Plastikpalme und wäscht zuletzt der Putzfrau in ihrem Eimer die Füße. Das ist der spannendste Moment des Abends, hier ist endlich nicht mehr vorhersehbar, wie es weitergehen wird. Es ist der Versuch einer Auseinandersetzung mit religiösen Symbolen und Topoi, mit Bildern – und für das Theater viel interessanter als bloße Textreproduktion.

Nora Mansmann

Link:
Volksbühne Berlin

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