Interview mit Lyssa

Lyssa schreibt für brainstorms die erfolgreiche und beliebte Kolumne »Stadtgeflysster«. Ihr eigenes Weblog wurde kürzlich von den Lesern der »Zeit« in der Kategorie »Erzählen« zum besten Blog Deutschlands gewählt.

brainstorms: Lyssa, herzlichen Glückwunsch. Dein Blog wurde von den Lesern der »Zeit« in der Kategorie »Erzählen« zum besten Blog Deutschlands gewählt. Wie fühlst Du Dich?

Lyssa: Gut. Ich habe mich sehr über die Wahl gefreut. Aber ich bin auch immer noch sehr erstaunt darüber, dass mein Blog von so vielen Menschen gelesen wird.

Wenn Dich Deine Eltern oder Freunde fragen, was ein Blog eigentlich ist, was antwortest Du dann?

Lyssa: Das hängt vom Grad der technischen Alphabetisierung ab. Meiner Mutter z.B., die bei einem Computer nicht mal den Knopf zum Anschalten finden würde, erzähle ich, dass es sich dabei um eine Art persönliches Journal handelt, in dem ich fast täglich Erlebnisse und Beobachtungen festhalte. Allerdings ist das Journal öffentlich, wodurch es zu einem literarischen Experiment mit quasi Live-Publikum wird. Das Weblog lebt ja nicht nur durch meine Einträge, sondern auch durch die Kommentare meiner Leser. Einem etwas netzversierteren Menschen würde ich noch mehr über die typischen Eigenschaften der Weblog-Software erzählen.

Wie und wann bist Du denn auf die Idee gekommen, ein Weblog zu betreiben?

Lyssa: Vor etwa zweieinhalb Jahren. Ich hab damals englischsprachige Blogs entdeckt und war gleich fasziniert davon, als Zaungast an fremdem Leben teilhaben zu können. Und davon, ungefiltert über die politische Einstellung von Menschen zu lesen, mit denen ich sonst nie ins Gespräch kommen würde. Außerdem waren Blogger dabei, die unglaublich gut schreiben konnten. Irgendwann hab ich dann Lust bekommen, mich selbst daran zu versuchen. Ich hatte schon lange nicht mehr regelmäßig geschrieben und dachte, dass so ein Blog ein guter Wiedereinstieg sein könnte.

Du warst also keine blutige Anfängerin. Wie sahen denn Deine bisherigen literarischen Erfahrungen aus?

Lyssa: Doch, strenggenommen war ich ziemlich blutige Anfängerin (bin ich immer noch, inzwischen ist das Blut nur ein wenig getrocknet). Ich hab eine Weile für ein Internet-Magazin gearbeitet, das dann bezeichnenderweise eingestellt wurde, und ich habe ebenso wie tausend andere völlig vergeblich an zahllosen Literaturwettbewerben teilgenommen. Es gab da allerdings so eine Art Papier-Vorläufer meines Weblogs. Ich habe nämlich regelmäßig längere Rundbriefe an Freunde und Verwandte verfasst. Vor allem in der Zeit, in der ich im Ausland gelebt habe.

Du schreibst über Deinen Hund, über Deine Freunde, über Deine Bekanntschaften. Gibt es auch Themen, die Dir zu privat wären, um sie der ganzen Welt mitzuteilen?

Lyssa: Natürlich.

Was wäre Dir denn zu intim?

Lyssa: Warum wusste ich bloß, dass jetzt diese Frage folgen würde?! Zu intim? Viele Dinge, die nicht nur mich, sondern auch das Privatleben meines Umfeldes betreffen. Ich kann schließlich deren Leben nicht beliebig öffentlich machen. Wenn ich z.B. über Schmuddelgeschichten meiner schwulen Freunde schreibe, dann immer nur nach Rücksprache. Und vieles ist dann eben zu intim.
Ich schreibe auch nicht, wenn ich wütend bin, weil ich mich mit Freunden oder Familie gestritten habe. Solche internen Querelen gehen außer den Beteiligten niemanden etwas an. Mein Weblog ist eben doch kein ganz klassisches Tagebuch und ich fände es rücksichtslos zu schreiben: »Bäh, XY ist eine eifersüchtige Pute und war heute wieder so garstig zu mir.« Viele meiner persönlichen Ängste und Sorgen sind mir zu intim. Intimer etwa als mein Sexualleben.

Aus genau diesem Sexleben machst Du kein großes Geheimnis. Meinst Du, dass Du vielleicht deswegen noch Single bist? Haben die Männer Angst, dass ihre Aktivitäten bald weit über die Grenzen Deine Bettes bekannt sein könnten?

Lyssa: Die meisten Menschen, die ich kennenlerne, wissen ja erst mal gar nicht, dass ich ein Blog führe. Wenn sie also Angst haben, dann weil ich so grimmig gucken kann, nicht aber weil ich gelegentlich über Sex schreibe. Außerdem habe ich eher die gegenteilige Erfahrung gemacht. Ich gehe mit einem Mann essen, wir flirten sehr nett, gehen getrennt nach Hause und drei Tage später muss ich mir am Telefon mit einem beleidigten Unterton anhören: »Du hast ja im Netz gar nicht über mich geschrieben. Du hast Dich wohl nicht amüsiert.«

Was müssen denn Männer haben, damit Du sie nicht nur ins Bett, sondern auch in Dein Blog nimmst?

Lyssa: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Das klingt so, als sei das Blog der wahre Ritterschlag. Ich möchte bitte mein Kopfschütteln zu Protokoll geben. Wir reden hier über das wahre Leben, nicht die Alm im Hinterzimmer von Pro7.
Generell müssen Menschen interessant sein, liebenswürdig, warmherzig, unterhaltsam... Menschen eben, keine Abziehbilder. Und wenn sie erstmal in meinem Leben sind, landen sie früher oder später auch meist im Blog – sofern sie nicht energisch widersprechen.

Was, meinst Du, treibt Menschen an, täglich Dein Blog zu lesen? Und sei bitte nicht zu bescheiden. Du kennst doch Deine Stärken.

Lyssa: Ich glaube, weil ich unterhaltsam erzählen kann. Ich bringe die Menschen zum Lachen und zeige ihnen, wie skurril die Welt direkt vor ihrer Tür sein kann. Aber auch, weil ich die ernsten Seiten zeige und schwierige Themen anspreche. Wahrscheinlich macht es die Mischung und die sehr subjektive Färbung, die meinen Texten einen persönlicheren Charakter gibt als normale Presseartikel ihn haben. Hilfreich dabei ist, dass ich über mich selbst lachen kann.

Letzte Frage: Du hast nun von der »Zeit« eine Auszeichnung erhalten. Was schwebt Dir für die Zukunft vor? Welche Träume hast Du?

Lyssa: Noch viel mehr glückliche Blogleser. Ein abwechslungsreiches Leben. Einen langen Urlaub in Afrika (natürlich würde ich darüber bloggen). Robbie Williams treffen. Ach ja, und natürlich wäre ich hocherfreut, wenn ich eines fernen Tages mal vom Schreiben leben könnte. Aber das ist nun wirklich nur ein Traum.

Das Interview führte Sachar Kriwoj.

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