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Blaue Pillen und rote Lippen

Es ist ganz egal, wie gründlich man die Andenken an den Exfreund aus seinem Gesichtsfeld verbannt, in irgendeiner Ecke hält sich immer etwas versteckt, das ganz unverhofft an eine alte Liebe erinnert.

Ich weiß nicht genau, wie andere Menschen das handhaben, aber ich habe die Männer und Frauen meines Lebens in mittelgroßen Kisten auf dem Dachboden verwahrt. Natürlich nicht alle, sondern nur die wichtigen. Und natürlich nicht etwa ihre sterblichen Überreste, sondern die Überreste der verstorbenen Beziehung.

In den entsprechend markierten Kisten lagern alle möglichen Andenken, Karten, Briefe, Fotos, manchmal auch Bücher oder CDs. Eben Dinge, von denen ich mich aus sentimentalen Gründen nicht trennen möchte, die ich aber auch nicht ständig als Erinnerung an schöne Tage vor Augen haben will. Ich kann ein Ziehen in der Herzgegend nur begrenzt ertragen.

Der Moment, an dem ich die Fotos von ihm von der Wand nehme, sorgfältig in ein T-Shirt wickle, das zumindest in meiner Vorstellung noch nach ihm riecht, alles in eine mittelgroße Kiste packe und auf den Dachboden trage, dieser Moment markiert einen wichtigen Wendepunkt in der Phase nach dem Beziehungsende. Ich höre auf, mich bei jeder Gelegenheiten heulend ins Bett zu verkriechen und konzentriere mich wieder auf mein Leben.

Das mit den Kisten funktioniert natürlich nur, wenn man seine Wohnung wirklich gründlich »entfreundet« und nicht wie ich noch kleine Rumpelecken hat, in denen man nur alle Jubeljahre aufräumt. Im Fall meiner Abstellkammer z.B. kann so eine Aufräumaktion im Frühlingsrausch schnell in einem sentimentalen Abend auf dem Sofa enden. So geschehen am Sonntag.

Ich wollte mich eigentlich nur mal wieder des Regals mit den Körperpflegeprodukten erbarmen, denn dort sammelt sich im Laufe eines Jahres bei Werbeopfern so einiges an, was den Praxistext nicht bestanden hat. Dann erlag ich aber dem Wahn, meine Wohnung würde insgesamt viel stilvoller wirken, wenn auch diese kleine Kammer aufgeräumt wäre, wobei ich natürlich nicht bedachte, dass kein Besucher je freiwillig eine Abstellkammer betritt und ich außerdem nicht Martha Stewart bin.

Rote Lippen. Höchste Zeit für Sentimentalität.
Foto: sxc.hu
Aber ich konnte mich selbst nicht mehr bremsen und nahm mir als nächstes die Schuhkartons mit den Kosmetikprodukten vor. Und was musste ich dabei lernen? Auch alte, seit langem unbenutzte Lippenstifte können eine Flut von Erinnerungen hochspülen. Der erste Kuss, der Farbfleck auf der Bettwäsche, sein durch »Glorious Red« ruiniertes Hemd kurz vor einer wichtigen Sitzung.

Zumindest fallen einem all diese Momente wieder ein, wenn man den ersten Schock darüber verwunden hat, dass man sich tatsächlich mal mit solchen Farben im Gesicht auf die Straße getraut hat. »Shocking Pink« trägt seinen Namen wirklich völlig zurecht.

Als nächstes war der Medizinschrank dran, eine vermeintlich unsentimentale und damit völlig ungefährliche Tätigkeit. Aber weit gefehlt. Im untersten Regal ganz weit hinten fand ich eine erlesene Kollektion an Schlaf- und Beruhigungsmitteln, die ausgereicht hätten, um eine Elefantenherde in den Winterschlaf zu versetzen. Die hatte ich dort vor langer Zeit aus Sorge versteckt, nachdem ich sie meiner damaligen Freundin abgenommen hatte, die zu dem Zeitpunkt seelisch ein wenig, nun ja, derangiert war.

Die Freundin lagert schon länger auf dem Dachboden und ihre Notration seit heute im Müll der Apotheke. Genauso wie übrigens die Packung Viagra, an die ein sehr experimentierfreudiger Exfreund über mehrere Ecken gelangt war. Zum praktischen Einsatz gelangten die blauen Pillen allerdings nie, da der Mann kurz zuvor von seiner Neugier kuriert wurde – mittels eines verunglückten Experiments mit weniger legalen Stoffen.

Aber jetzt müsst Ihr mich leider entschuldigen, die Maniküre wartet. Ich will den Frühling mit Nägeln in »Diva Red« willkommen heißen. Der einzigen Farbe, die ich nie zugunsten irgendeiner Vergangenheitsbewältigung aufgeben würde.

Lyssa

Wer nicht bis zum nächsten Dienstag warten kann, kann täglich Lyssas Tagebuch lesen:
http://www.lyssas-lounge.de/peepshow

stadtgeflysster
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