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Dämmerlicht bevorzugt

Warum reden alle ununterbrochen öffentlich über Körperhygiene, Intimrasur und Fortpflanzung, aber niemand sagt mal ein Wort zum richtigen Zeitpunkt der ersten Antifaltencreme?

Als ich in der letzten Woche spät von einem heiteren Abend unter Frauen nach Hause zurückkam, flackerte das Licht im Hauseingang des benachbarten Prachtbaus verdächtig. Wackelkontakt, ganz eindeutig. Das von der Beleuchtung normalerweise angestrahlte Schild fiel mir dank des neuen Sekundentaktes zum ersten Mal richtig auf: Ein stilisierter Schwan und daneben der Name eines luxuriösen Schönheitssalons.

Wann ist der Griff in so ein Regal unvermeidlich?
Foto: sxc.hu
Doch die eigentliche Message wurde in der Zeile darunter ins Bewusstsein geflackert: »AntiAging«. Licht an: Anti. Aus. Zack, wieder an: Aging. Anti – Aus – An – Aging. Und immer so weiter. Das Bild blitzte sich in die alkoholgetränkte Photoplatte meines Gehirns. In meinem Zustand erschien mir das wie ein Omen, klar, sonst hätte ich das Schild ja schon viel früher bemerkt.

Ich bewaffnete mich zuhause mit einem weiteren Glas Rotwein und wagte mich an die Bestandsaufnahme meiner Hautstruktur. Bislang hatte ich daran kaum einen Gedanken verschwendet, aber das Anti ... Aging flackerte mir noch zu deutlich vor Augen. Vielleicht war ich ja längst überfällig?

Benutzten andere Frauen um die 30 etwa schon die geheimnisvollen, vor allem aber hochpreisigen Tinkturen mit Traubenkernessenz, Q10, Omegasonstwas oder was auch immer grad die neueste Entdeckung der zahlreichen Beauty-Labors war? In welchem Alter erreichte man den magischen Wendepunkt, von dem ab man das Regal mit den normalen Pflegeprodukten zugunsten der Antifalten-Mittelchen links liegen ließ? Und warum hatte ich so gar keine Ahnung von diesen Dingen?

Ich schlich mit einem kleinen Kosmetikspiegel zwischen Bad, Wohn- und Schlafzimmer hin und her, schließlich muss man das Gesicht bestimmt bei verschiedenen Lichtverhältnissen beurteilen. Und es dürfte klar sein, dass das unbarmherzige Licht im Badezimmer keinesfalls den Verhältnissen in freier Wildbahn entsprach. Das romantische Dämmerlicht in meinem Schlafzimmer vielleicht auch nicht gerade, aber es dürfte die Umsätze der Schönheitschirurgen existenzbedrohend senken, wenn sich alle nur noch mit Rotwein in der Hand im Kerzenschein betrachten würden.

Na gut, ich sah aus wie immer. Aber was bedeutete das? Und warum war das alles plötzlich so kompliziert? Der Übergang von der Pubertätshaut zur normalen Haut kündigt sich deutlich durch das Ausbleiben von Pickeln und extrem glänzender Nase an. Also ging man künftig einfach ein Regal weiter und entschied sich ganz nach Bedarf (trocken oder fettig), Ideologie (an Tieren getestet oder von Jungfrauen in weißen Kleidern bei Vollmond linksrum gerührt) und Geldbeutel für eine andere Hautpflege.

Aber die Abteilung für Faltenfreiheit, die blieb der Generation über uns vorbehalten und wenn ich mal eines von den Traubenkernpröbchen in einer Zeitschrift fand, brachte ich es meiner Mutter mit (wofür ich mich nachträglich entschuldigen möchte, ich konnte ja nicht ahnen, in welch Krisen die Faltenfrage eine Frau stürzen kann). Bis zu diesem Abend fiel Faltenreduktion für mich in die Abteilung, in der auch die botoxbehandelten Ehefrauen von Großindustriellen nebst ihren silikonverzierten Töchtern steckten.

Es half alles nichts, ich mussten meinen schwulen Visagisten aus dem Bett klingeln. Von ihm konnte ich auch zu später Stunde Verständnis für meinen Faltenwahn erwarten. »Was denn, Süße, du benutzt nur eine normale Feuchtigkeitslotion? Das geht gar nicht. Und dann all die Sonne damals in Afrika, tsts. Du wirst in fünf Jahren aussehen wie eine schlecht konservierte Mumie. Du bist überfällig, ü-ber-fällig. Ich nehme ja schon seit meinem 24sten Lebensjahr eine Creme für meine Augen- und Lachfältchen.«

Ok, das war ernüchternd, trotz Rotwein. Und so genau wollte ich es eigentlich auch gar nicht wissen. Aber ich nahm mir seinen Rat sehr zu Herzen, musste bei meinem Einkauf am nächsten Tag allerdings mit schreckensbleichem Teint auf eine günstigere Marke ausweichen. Das wiederum erwies sich als die einzig richtige Entscheidung in dieser Angelegenheit, denn das AntiAging-Präparat kam genau drei Mal mit meiner im Mumifizierungsprozess befindlichen Gesichtshaut in Kontakt. Danach zerkaute der Hund die Tube und die Tinktur glättet seither seine Magenschleimhaut.

Um das Thema Falten werde ich mich auch erst in ein paar Jahren wieder kümmern. Wenn die Beleuchtung bei den schönen Nachbarn mal wieder wackelt.

Lyssa

Wer nicht bis zum nächsten Dienstag warten kann, kann täglich Lyssas Tagebuch lesen:
http://www.lyssas-lounge.de/peepshow

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