Die neuen Leiden des jungen Werther

Alle Menschen sind gleich vor dem Schönheitswahn

Die Frauenbeauftragte könnte froh sein und die Gender-Studenten an den Universitäten dürfen staunen: Frauen werden von den Angstmachern an der Schönheitsfront nicht länger diskriminiert. Das Prinzip »Learning by doing« siegt und das Ergebnis ist eine Tragödie in drei Akten.

Über weibliche Eitelkeit lohnt es sich längst nicht mehr zu streiten. Die meisten Frauen kokettieren sogar mit ihrer Eitelkeit, seit diese den Schritt von der Sünde zur Tugend geschafft hat und eine Existenz als anorektische Laufsteganziehpuppe als erstrebenswertes Lebensziel auch für Frauen jenseits der Pubertät gilt. Aber männliche Eitelkeit wird erst seit wenigen Jahren auch außerhalb der Marketing-Abteilung von Douglas wirklich zur Kenntnis genommen.

Ihr haftete bis zum Triumphzug der Metrosexuellen mit David Beckham an der Spitze weiterhin der Verdacht der Unmännlichkeit an. Immerhin galt es, die uralte Verbindung von Schweiß und Männlichkeit zu durchbrechen und durch Duftwässerchen zu ersetzen. Ein gewaltiger Markt. All die gezähmten Wilden dürfen sich jetzt Tiegel ins Bad stellen und dafür anerkennende Blicke statt Hohn und Spott ernten.

Warum nur, fragt man sich da als leidgeprüfte Frau, haben sie aus dem weiblichen Anschauungsunterricht nichts gelernt, sondern tappen in dieselben Fallen, in die Frauen seit Jahrzehnten wie die Lemminge stolpern? Anstatt die internationale Politik zu verfolgen, lesen Männer neuerdings Magazine, die ihnen neue Tiegelchen und noch mehr Sit-ups verordnen für den trendgerechten Wunderkörper. Derartige Lektüre aber hat bekanntermaßen schon den Frauen nicht besonders gut getan.

Dementsprechend darf sich der neue Mann nicht nur mit dem desolaten Zustand seines Aktiendepots, sondern auch mit Eßstörungen rumschlagen, deren Namen uns Frauen schon seit Jahren genauso leicht über die Lippen gehen wie die der bekanntesten Abführmittel. Von Performance-Problemen im Bett ganz zu schweigen, die der Mann in diesem Ausmaß auch erst kennt, seit er in den einschlägigen Magazinen von den Anforderungen an seine Performance gelesen hat.

Einfach nur Sex ist out. Das haben schließlich schon unsere verschwitzten Großväter getan. Der neue Mann hat Power-Sex mit fünf Stellungswechseln, drei Hilfsmitteln und gerne auch zwei Frauen. Er hat von der thailändischen Liebesorgel bis zur komplizierten Japanbondage alles ausprobiert und hatte mindestens 24 Geliebte, von denen er acht auf Video gebannt hat, bevor er wahlweise heiratet oder Abteilungsleiter bei SAP wird.

Seine anspruchsvolle Karriere muß ihm natürlich Zeit lassen für eine Geliebte und regelmäßiges Training. Denn Sex hat nur, wer auch nach Sex aussieht. Neu im Heft: Die Fit-fürs-Ficken-Diät. Ade Hängebauchschwein, willkommen Pfau.

Da wundert sich auch niemand mehr, wenn er aktuelle Statistiken der Schönheitschirurgie in die Finger bekommt und darin eine rasant wachsende Zahl männlicher Kandidaten für die überflüssigsten Eingriffe findet. Vor zehn Jahren haben alle noch wohlig entsetzt hinter vorgehaltener Hand über meinen schwulen Schulfreund getuschelt, der sich als erster etwa 200 Gramm Fett am unteren Bauch absaugen ließ (was optisch keinen Unterschied machte) und damit in einen Club aufgenommen wurde, der bis dahin nasenkorrigierten Zahnarzttöchtern aus L.A. vorbehalten schien.

Heute kommt selbst Horst aus Langenhorn mit frischen Narben vom Fettabsaugen aus dem Urlaub zurück und plant auf der Heimreise bereits die nächste OP, bei der er sich Silikon in den frisch gestrafften Bauch einsetzen lassen will. Die Fotos von Papi vor der Schönheitsklinik unter Palmen sind inzwischen genauso normal wie die Schnappschüsse von der gelifteten Mami vor der Arena di Verona.

Schade nur, daß sich Erfahrungswerte offensichtlich nicht ganz so einfach transplantieren lassen, sonst bliebe den Männern einiges erspart.

Lyssa

Wer nicht bis zum nächsten Dienstag warten kann, kann täglich Lyssas Tagebuch lesen:
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